Inhalt: Lexikon in aktueller Wissenschaftskultur
Eine lexikalische Großtat auf 425 Seiten mit transdisziplinärem
Anspruch muss scheitern, so sie denn den aktuellen Stand der Publizistik
bis hin zur Systemtheorie sowie Stichwörter aus Pädagogik,
Psychologie, Philosophie, Soziologie, Philosophie, Anthropologie und
Kybernetik in sich aufnehmen will. Selbst Aspekte aus Marketing, Politik,
Recht, Kultur, Kunst, Ethik und Intimität werden in der umsichtig
angelegten Formalstruktur des Lexikons berücksichtigt. Zudem vermittelt
das Lexikon nicht etwa zwischen den Disziplinen, sondern die Begrifferklärungen
folgen dem vorherrschenden Forschungsstand in den jeweiligen Disziplinen.
Das Kompendium unternimmt erst gar nicht den Versuch, einen Konsens
zwischen den fachspezifischen Begriffsführungen herzustellen, sondern
begreift den Dissens zwischen Disziplinen und deren jeweilige Eigenständigkeit
als Chance für interdisziplinäre Kommunikation. Selbst für
populärwissenschaftliche Darstellungsweisen ist sich das Lexikon
nicht zu fein. Es bietet leicht verständliche Einstiegshilfen,
um Studierende in differenziertere Perspektiven einzuweisen. Ganz so
wie C. Beck den Begriff „Popkultur“ beschreibt, ist das
Lexikon selbst an einer Wissenschaftskultur orientiert, die heutzutage
von unbeständigen Zugehörigkeiten und wechselnden Ausdifferenzierungen
geprägt ist.
Kommunikation als Chance
Die einleitenden Worte von Tsvasman fordern von dem Lexikon viel und
lassen gar Visionäres erwarten. Was erbringt die konkrete Überprüfung,
wie die Begriffe Medium bzw. Kommunikation definiert und erklärt
sind? Es ist wohltuend nicht einen einzigen Kommunikationsbegriff zu
finden. So versucht Tsvasman einen systemtheoretischen Begriff der Intersubjektivität
auf Basis des kommunikativen Handels zu begründen. Ein solcher
Definitionsversuch bringt zweifelsohne die deutsche Soziologie in gehörige
Turbulenzen. Denn insbesondere der Systemtheoretiker N. Luhmann lehnte
den Begriff der Intersubjektivität strikt ab, indessen J. Habermas
selbstverständlich Intersubjektivität im kommunikativen Handeln
niemals als einen systemtheoretischen Begriff beschrieb. Einsichtiger
definiert G. Koch die Kommunikation als den Austausch von Zeichen und
erwähnt beispielhaft Sprechakttheorien, den symbolischen Interaktionismus,
Konversationsanalysen und auch die nonverbale Kommunikation. Verantwortlich
zeigt sich das Lexikon auch darin, dem Leser nicht bloß etwas
zu erklären, sondern ihm sogar praxisorientierte Arbeitsfelder
beispielsweise in Medienberufen und in der Trendforschung aufzuzeigen.
Einen Überblick über die bedeutsamsten Kommunikationstheorien
des vergangenen Jahrhunderts trägt K. Merten bei, so dass Theorieinteressierte
in Windeseile informiert sind, welche Kommunikationsmodelle bis heute
vorherrschend sind. Wer an der ökonomischen Globalisierung praxisbezogen
mitarbeitet, derjenige findet eine hilfreiche Kurzeinführung von
J. Bolten in die Interkulturelle Wirtschaftskommunikation. Und auch
diejenigen, die die Informationstechnik genauer verstehen möchten,
finden den Unterschied zwischen Informationstechnik und Informationstechnologie
erklärt und erhalten eine Einführung von G. Franke in die
ingenieurwissenschaftliche Praxis der Netzwerktechnik. Selbstverständlich
hätten Soziologen noch den fehlenden Begriff der informationellen
Netzwerkgesellschaft gefordert und die Bildwissenschaftler können
nicht zufrieden sein, wenn das Stichwort „Buch“ auf sechs
Seiten erklärt wird, indessen das Bild in den zwei Sätzen
zur visuellen Kommunikation mal genannt oder unter dem Stichwort „Bildjournalismus“
vereinnahmt wird. Insofern lässt das Lexikon es als lebendige Realität
erahnen, dass Fachdisziplinen auch untereinander um wissenschaftspolitische
Einflusssphären in der Begriffsführung konkurrieren.
Das Medium in der Praxis
Der Begriff des Mediums wird in stark praxisorientierter Beschreibung
aufgegriffen. Medienberufe, Mediengesellschaft und Medienkompetenz stehen
neben Medienwirkung, Medienkunst und Medienpsychologie. Der ansonsten
umfangreiche Artikel zum Medienrecht nennt leider nicht die politisch
aktuelle Diskussion, die Lawrence Lessing hinsichtlich des Urheberrechts
und der weitgehenden Aufhebung des Copyrights führt. Dem entgegengesetzt
beweist der Artikel zur Mediensprache von D. Perrin zwar Aktualität,
er verwirrt aber gleichzeitig mit einer ellenlangen Literaturliste von
kleinsten Aufsätzen im Hier und Dort. In schon gewohnter Systematik
skizziert N. Döring die Phasen der Medienkonzeption und verzichtet
ebenfalls nicht darauf, Berufsperspektiven darzustellen. Noch weiter
in Richtung Neue Medien arbeitet U. Thiedeke den Begriff der Interaktionsmedien
aus. Er unterscheidet unter soziologischen Gesichtspunkten zwischen
Individualmedien, Massenmedien und Interaktionsmedien, um festzustellen,
dass wir sowohl mit als auch in den Medien handeln. Zu jenen drei Medien
hätten Informatiker noch den Begriff der „Handlungsmedien“
hinzu geschrieben. Denn in Handlungsmedien lassen sich Objekte manipulieren,
z.B. etwas bauen, ohne dass Akteure an einer zwischenmenschlichen Interaktion
interessiert wären. Die eine Wissenschaft mit dem Wissen einer
anderen zu kritisieren und zu ergänzen ist endlos fortzuführen
und von dem Großen Lexikon an einem bestimmten Punkt aufgehört
worden.
Fazit: Sachkundige Information mit etwas Pop
Das Große Lexikon wirkt opulent, wenn es trotz seines großen
Schriftbildes und trotz der hohen Anzahl ungenannter Fachbegriffe noch
Platz dafür bietet, Kurzbiografien bedeutender Kommunikationsforscher,
Verweise auf Grundlagenwerke, Internetadressen und die 30 Verfasser
ausführlich zu nennen. Trotz aller theoretischen Herausforderungen
scheitert das Große Lexikon nicht an der idealen Vision eines
inter- und transdisziplinären Kompendiums. Denn so wenig wir -
frei nach Adorno - die Utopie „auspinseln“ dürfen,
so wenig wissen wir, wie das einzig wahre Lexikon wäre, doch so
genau wissen wir, was das Falsche ist. Das Falsche wäre, es gar
nicht erst zu versuchen, ein visionäres Lexikon über alle
Disziplinen hinweg zu erstellen. Das Grosse Lexikon Medien und Kommunikation
zeigt, dass es in der Wissensgesellschaft eine alltägliche Praxis
ist, nicht utopische Wahrheiten zu suchen, sondern erstmal mit sachkundiger
Kommunikation sowie mit etwas Pop zu beginnen.