Leon R. Tsvasman (Hrsg.) 2006
Das große Lexikon Medien und Kommunikation, Ergon Verlag, Würzburg

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Inhalt: Lexikon in aktueller Wissenschaftskultur

Eine lexikalische Großtat auf 425 Seiten mit transdisziplinärem Anspruch muss scheitern, so sie denn den aktuellen Stand der Publizistik bis hin zur Systemtheorie sowie Stichwörter aus Pädagogik, Psychologie, Philosophie, Soziologie, Philosophie, Anthropologie und Kybernetik in sich aufnehmen will. Selbst Aspekte aus Marketing, Politik, Recht, Kultur, Kunst, Ethik und Intimität werden in der umsichtig angelegten Formalstruktur des Lexikons berücksichtigt. Zudem vermittelt das Lexikon nicht etwa zwischen den Disziplinen, sondern die Begrifferklärungen folgen dem vorherrschenden Forschungsstand in den jeweiligen Disziplinen. Das Kompendium unternimmt erst gar nicht den Versuch, einen Konsens zwischen den fachspezifischen Begriffsführungen herzustellen, sondern begreift den Dissens zwischen Disziplinen und deren jeweilige Eigenständigkeit als Chance für interdisziplinäre Kommunikation. Selbst für populärwissenschaftliche Darstellungsweisen ist sich das Lexikon nicht zu fein. Es bietet leicht verständliche Einstiegshilfen, um Studierende in differenziertere Perspektiven einzuweisen. Ganz so wie C. Beck den Begriff „Popkultur“ beschreibt, ist das Lexikon selbst an einer Wissenschaftskultur orientiert, die heutzutage von unbeständigen Zugehörigkeiten und wechselnden Ausdifferenzierungen geprägt ist.

Kommunikation als Chance

Die einleitenden Worte von Tsvasman fordern von dem Lexikon viel und lassen gar Visionäres erwarten. Was erbringt die konkrete Überprüfung, wie die Begriffe Medium bzw. Kommunikation definiert und erklärt sind? Es ist wohltuend nicht einen einzigen Kommunikationsbegriff zu finden. So versucht Tsvasman einen systemtheoretischen Begriff der Intersubjektivität auf Basis des kommunikativen Handels zu begründen. Ein solcher Definitionsversuch bringt zweifelsohne die deutsche Soziologie in gehörige Turbulenzen. Denn insbesondere der Systemtheoretiker N. Luhmann lehnte den Begriff der Intersubjektivität strikt ab, indessen J. Habermas selbstverständlich Intersubjektivität im kommunikativen Handeln niemals als einen systemtheoretischen Begriff beschrieb. Einsichtiger definiert G. Koch die Kommunikation als den Austausch von Zeichen und erwähnt beispielhaft Sprechakttheorien, den symbolischen Interaktionismus, Konversationsanalysen und auch die nonverbale Kommunikation. Verantwortlich zeigt sich das Lexikon auch darin, dem Leser nicht bloß etwas zu erklären, sondern ihm sogar praxisorientierte Arbeitsfelder beispielsweise in Medienberufen und in der Trendforschung aufzuzeigen. Einen Überblick über die bedeutsamsten Kommunikationstheorien des vergangenen Jahrhunderts trägt K. Merten bei, so dass Theorieinteressierte in Windeseile informiert sind, welche Kommunikationsmodelle bis heute vorherrschend sind. Wer an der ökonomischen Globalisierung praxisbezogen mitarbeitet, derjenige findet eine hilfreiche Kurzeinführung von J. Bolten in die Interkulturelle Wirtschaftskommunikation. Und auch diejenigen, die die Informationstechnik genauer verstehen möchten, finden den Unterschied zwischen Informationstechnik und Informationstechnologie erklärt und erhalten eine Einführung von G. Franke in die ingenieurwissenschaftliche Praxis der Netzwerktechnik. Selbstverständlich hätten Soziologen noch den fehlenden Begriff der informationellen Netzwerkgesellschaft gefordert und die Bildwissenschaftler können nicht zufrieden sein, wenn das Stichwort „Buch“ auf sechs Seiten erklärt wird, indessen das Bild in den zwei Sätzen zur visuellen Kommunikation mal genannt oder unter dem Stichwort „Bildjournalismus“ vereinnahmt wird. Insofern lässt das Lexikon es als lebendige Realität erahnen, dass Fachdisziplinen auch untereinander um wissenschaftspolitische Einflusssphären in der Begriffsführung konkurrieren.

Das Medium in der Praxis

Der Begriff des Mediums wird in stark praxisorientierter Beschreibung aufgegriffen. Medienberufe, Mediengesellschaft und Medienkompetenz stehen neben Medienwirkung, Medienkunst und Medienpsychologie. Der ansonsten umfangreiche Artikel zum Medienrecht nennt leider nicht die politisch aktuelle Diskussion, die Lawrence Lessing hinsichtlich des Urheberrechts und der weitgehenden Aufhebung des Copyrights führt. Dem entgegengesetzt beweist der Artikel zur Mediensprache von D. Perrin zwar Aktualität, er verwirrt aber gleichzeitig mit einer ellenlangen Literaturliste von kleinsten Aufsätzen im Hier und Dort. In schon gewohnter Systematik skizziert N. Döring die Phasen der Medienkonzeption und verzichtet ebenfalls nicht darauf, Berufsperspektiven darzustellen. Noch weiter in Richtung Neue Medien arbeitet U. Thiedeke den Begriff der Interaktionsmedien aus. Er unterscheidet unter soziologischen Gesichtspunkten zwischen Individualmedien, Massenmedien und Interaktionsmedien, um festzustellen, dass wir sowohl mit als auch in den Medien handeln. Zu jenen drei Medien hätten Informatiker noch den Begriff der „Handlungsmedien“ hinzu geschrieben. Denn in Handlungsmedien lassen sich Objekte manipulieren, z.B. etwas bauen, ohne dass Akteure an einer zwischenmenschlichen Interaktion interessiert wären. Die eine Wissenschaft mit dem Wissen einer anderen zu kritisieren und zu ergänzen ist endlos fortzuführen und von dem Großen Lexikon an einem bestimmten Punkt aufgehört worden.

Fazit: Sachkundige Information mit etwas Pop

Das Große Lexikon wirkt opulent, wenn es trotz seines großen Schriftbildes und trotz der hohen Anzahl ungenannter Fachbegriffe noch Platz dafür bietet, Kurzbiografien bedeutender Kommunikationsforscher, Verweise auf Grundlagenwerke, Internetadressen und die 30 Verfasser ausführlich zu nennen. Trotz aller theoretischen Herausforderungen scheitert das Große Lexikon nicht an der idealen Vision eines inter- und transdisziplinären Kompendiums. Denn so wenig wir - frei nach Adorno - die Utopie „auspinseln“ dürfen, so wenig wissen wir, wie das einzig wahre Lexikon wäre, doch so genau wissen wir, was das Falsche ist. Das Falsche wäre, es gar nicht erst zu versuchen, ein visionäres Lexikon über alle Disziplinen hinweg zu erstellen. Das Grosse Lexikon Medien und Kommunikation zeigt, dass es in der Wissensgesellschaft eine alltägliche Praxis ist, nicht utopische Wahrheiten zu suchen, sondern erstmal mit sachkundiger Kommunikation sowie mit etwas Pop zu beginnen.

 
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