Wie wirkt die Syntaktik von bildhaften Zeichen kommunikativ?

In: Sachs Hombach, Klaus; Rehkämper, Klaus;
Bildgrammatik,
Interdisziplinäre Forschung zur Syntax bildlicher Darstellungsformen,
Magdeburg 1998, S. 145-154

Schelske, Andreas
1998
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Zusammenfassung/Summary:

Die folgende Betrachtung untersucht die Frage, wie der Beziehungsaspekt der Kommunikation in der Syntaktik der Bildgestaltung zum tragen kommt. Den Ausgangspunkt bietet die Peircesche und Morrissche Semiotik, mit der zwischen Syntaktik, Semantik und Pragmatik unterschieden werden kann. Das Ergebnis der Untersuchung zeigt auf, daß Bilder in der syntaktischen Dimension einer Konvention folgen, deren Regelhaftigkeit das Medium für einen kulturellen Beziehungsaspekt bietet.

The following article examines the question how relational aspects in visual communication are linked with the syntactical structure of pictures. The semiotic of Peirce and Morris, particularly the distinction between a syntactic, semantic and pragmatic dimension, serves as a starting-point. The result of the investigation points out that the syntactic dimension of pictures is shaped by a cultural convention which regularity grounds the cultural relationship in visual communication. Furthermore such a regularity explains a cultural style that carries a message of an actualized communication.


Andreas Schelske

Wie wirkt die Syntaktik von bildhaften Zeichen kommunikativ?

1.1 Zeichen in triadischer Relation


Zeitgenössische Theorien, die die Sprach- und Bildkompetenz von Individuen thematisieren, untersuchen vielfach die Verwendung von Symbolen, die Einhaltung von Regeln (Konventionen) und die kommunikative Funktion einer Ähnlichkeit, mit der etwas anderes bezeichnet werden kann. In manchen dieser Theorien, die oft in linguistischen Fundamenten verwurzelt sind, hält sich die Annahme, daß Bilder eine Sprache wären, gleichwohl für sie weder eine Grammatik noch die Möglichkeit einer lexikalischen Systematisierung entworfen werden könnte. Zudem beantworteten linguistisch beeinflußte Theorien die Frage unzureichend, wie sich mittels bildhafter Zeichen visuell kommunizieren läßt. Deshalb möchte ich im folgenden mittels eines semiotischen Standpunktes darlegen, wie bzw. wodurch bildhafte Zeichen einer syntaktischen Regel (Konvention) folgen können, die zwar nicht als Sprache einzuordnen ist, die aber sehr wohl ein geordnetes Verzeichnis kultureller und subkultureller Bildstile ermöglicht.

Den Ausgangspunkt der Überlegungen werden die zeichentheoretischen Theorien von Charles Sanders Peirce (1931/2.240-2.250ff.) und auch von Charles William Morris (1988/90ff.) festigen, der die drei Dimensionen benannte, mit denen sich Zeichen in ihrer Syntaktik, Semantik und Pragmatik unterscheiden lassen. Diese Unterscheidung bietet sich an, weil sie einerseits linguistische Bestimmungen an Differenziertheit überbietet und sie sich andererseits zwar komplementär zu den Peirceschen Kategorien verhält, jedoch mit diesen nicht inkompatibel ist, zumal zu vermuten ist, daß Morris die Peirceschen Kategorien auf seine Weise reformulierte.

Die Definitionen, mit denen jene beiden Semiotiker ein Zeichen beschreiben, unterscheiden sich zwar ein wenig, dennoch sprechen beide von einem Zeichen bei folgenden Eigenschaften: Ein Erstes, das als materieller Zeichenträger vorliegt, muß derart in einer Relation zu einem Zweiten, d.h. seinem Objekt bzw. Designat, stehen, so daß diese Beziehung in der Lage ist, ein Individuum dazu zu bewegen, sich zu verhalten, zu handeln oder zu denken, damit es innerhalb dieser Handlungsweisen ein Drittes, den Interpretanten des Zeichenträgers erzeugt. Morris und Peirce gliedern somit das Zeichen in drei Aspekte: Erstens das Zeichenmittel, so wie es in seinem Material und seiner Form vorliegt; zweitens das Zeichen in seiner Relation zu seinem zeicheninternen, unmittelbaren Objekt bzw. Designat; und drittens der Interpretant, den ein Individuum konstituiert, indem es die Beziehung von Zeichenmittel und bezeichnetem, unmittelbarem Objekt in Beziehung setzt und als Bedeutung aktualisiert. Erst wenn diese triadische Relation erfüllt ist, ist ein Zeichen als solches vollständig und kommunikativ wirksam. Denn ein Interpret ist bei der Wahrnehmung eines Zeichens darauf angewiesen, das Zeichenmittel mittels seiner Wahrnehmung als eine optische Gestalt visuell so zu konstruieren, daß ihm diese optische Formation als eine Bezeichnung von etwas vorkommt, die er in seiner Bedeutung interpretiert, sobald er das Zeichen verstehen möchte.

Zur besseren Vorstellbarkeit der triadischen Relation, wie sie für ein Bild besteht, möchte ich diese anhand der visuellen Konstruktion eines kommunikativ wirksamen, bildhaften Zeichens aufzeigen. Um ein Bild als Bild zu verstehen, führt ein Betrachter zwei Interpretationsprozesse durch: Zum einen interpretiert er den wahrgenommenen Gegenstand als ein Zeichen seiner Funktion, d.h. als ein Gegenstand der bildhaften Kommunikation, und zum anderen interpretiert er das, was er in dem Bild an Bezeichnetem visuell erkennt.

Der erste, oft wenig bedachte Schritt einer Semiose erklärt sich folgendermaßen: Um ein Bild zunächst als solches zu erkennen, ist es unumgänglich, daß es selbst als ein Zeichen seiner Funktion erkannt wird, d.h. der Betrachter muß z. B. die quadratische Form des Bildes als ein Zeichen erkennen, welches ihm indiziert oder symbolisiert, daß es sich bei dem Zeichen um eines handelt, das in seiner Funktion als "visuelle Kommunikation mittels Bildern" zu verstehen ist. Ist der Betrachter nicht in der Lage, die Funktion eines Bildzeichens als Zeichen zu erkennen, mißversteht er den demonstrativen Appell, mit dem das Bildzeichen seine Funktion als visuelle Kommunikation innerhalb einer kulturellen Kontextes zu bezeichnen sucht. Das bildhafte Zeichen würde in einer solchen Situation seinen kommunikativen Anschluß an etwaige Kommunikationspartner verpassen, sobald diese außerstande sind, die materielle Struktur des Gesehenen als ein Bild zu dekodieren und zu verstehen. Der hier aufgezeigte, erste Schritt der Interpretation verdeutlicht demnach, wie ein Bild als ein Zeichen semiotisiert wird, dessen Objektbezug die Funktion der visuellen Kommunikation bezeichnet, damit diese als eine solche Bedeutung erlangt. Die triadische Relation ist somit erfüllt.

Der zweite Schritt einer Semiose ist im allgemeinen geläufiger. Mit ihm läßt sich darstellen, wie ein Betrachter in dem Bild etwas Bezeichnetes sieht, was ihn zu einer interpretierenden Handlung veranlaßt. Die triadische Relation ist auch hier wieder der Ausgangspunkt. Sie ist dadurch erfüllt, daß ein mit seiner Bildkultur vertrauter Betrachter alltäglicherweise in den Formen und Farben, d.h. in den Zeichenmitteln eines Bildes, meist etwas sieht, das von dem Bild per augenscheinlicher Ähnlichkeit bezeichnet wird. Das mittels zweier Dimensionen bildhaft Bezeichnete ist jedoch nicht der Gegenstand selbst, so wie er in der dreidimensionalen Welt erfahren wurde, sondern das Bezeichnete ist das von Peirce sogenannte "unmittelbare Objekt" des Zeichens. Mit diesem unmittelbaren Objekt ist zum Ausdruck gebracht, daß "... es das Objekt ist, wie das Zeichen es repräsentiert, dessen Sein also von seiner Repräsentation im Zeichen abhängt." (Oehler 1993/129) Insofern ein Betrachter das unmittelbare Objekt des (Bild?)Zeichens dekodiert, interpretiert er zunächst nicht den dreidimensionalen Gegenstand, sondern dessen Bezeichnung, die hinsichtlich seiner potentiellen Erfahrbarkeit Orientierung leisten soll sowie kann.

Zu dem soeben beschriebenen zweiten Schritt einer Semiose gehört auch das anhaltend diskutierte Problem der Bezeichnung per Ähnlichkeit. Damit etwas bildhaft bezeichnet wird, benötigt die optische Struktur des materiellen Bildes nämlich keine Ähnlichkeit, die zwischen der Bildstruktur und einem Gegenstand bestehen müßte, den wir aus der uns vertrauten dreidimensionalen Welt her kennen. Die Bezeichnung per bildlicher Ähnlichkeit ist bereits möglich, sobald Mitgliedern der figurale Aufbau ihrer Bildkultur derart vertraut wird, daß sie während der Betrachtung des Zeichenmittels ein per Ähnlichkeit bezeichnetes, unmittelbares Objekt, d.h. ein ikonisches Objekt, erkennen und dieses in seiner kommunikativen Bedeutung interpretieren. Ob das Denotat des ikonisch bezeichneten Gegenstands tatsächlich existiert, ist für die kommunikative Bedeutung des Zeichens keineswegs notwendig.

1.2 Syntaktik, Semantik und Pragmatik

Die Eingangs aufgezeigte triadische Relation, mit der das Zeichen in seinen drei Bezügen als Zeichenmittel, Objektbezug und Interpretant dargestellt wurde, nahm gewissermaßen die drei Dimensionen vorweg, mit denen Morris ein Zeichen nach seiner Syntaktik, Semantik und Pragmatik unterscheidet. Denn die Syntaktik beschreibt, wie Zeichenmittel zueinander in Beziehung stehen und ihren Sinn in Form und Struktur zugestanden bekommen. Als die semantische Dimension eines Zeichens erfaßt Morris indessen, wie sich das Zeichenmittel auf ein Objekt bezieht, d.h., ob es einen ikonischen, indexikalischen oder symbolischen Objektbezug beinhaltet, um etwas zu bezeichnen. Die Bedeutung eines Zeichens kommt erst hinzu, sobald sich ein Interpret aufgrund der Verbindung der syntaktischen mit der semantischen Dimension in die Lage versetzt, daß er während seines Handelns die pragmatische Dimension des Zeichens als dessen Bedeutung interpretieren kann. Die Pragmatik kategorisiert hier, die "Beziehung der Zeichenträger zu den Interpreten" (Morris 1988/93), die die Bedeutungen des Zeichens im Handeln bzw. kommunikativen Handeln aktualisieren. Um die kommunikative Wirksamkeit eines (Bild-)Zeichens aufzuzeigen, müssen daher alle drei Dimensionen aufeinander bezogen werden, da ein Zeichen nicht allein aus einer der aufgezeigten Dimensionen seine Bedeutung erhalten kann.

2. Der kommunikative Beziehungsaspekt der Syntaktik

Die zwei Schritte einer Semiose verdeutlichen, daß die von Personen verwendete Syntaktik zweifaches leisten kann: Sie kann einerseits an jeden Kommunikationsteilnehmer demonstrativ appellieren, daß es sich bei den Formen um Zeichen einer menschlichen Kultur handelt, und sie kann innerhalb dieser Formen ein Zeichen für etwas, d.h. einen Objektbezug aufzeigen, von dem gesprochen wird oder von dem sich der Betrachter ein "Bild" bzw. eine visualisierte Vorstellung macht. Gregory Bateson beschreibt diese Leistung der menschlichen Kommunikation folgendermaßen: "Außergewöhnlich - das großartig, neue - in der Evolution der menschlichen Sprache war nicht die Entdeckung der Abstraktion oder der Verallgemeinerung, sondern die Entdeckung, wie es möglich ist, sich über etwas anderes als Beziehungen genau auszudrücken." (Bateson 1981/472) Implizit unterscheidet Bateson hier die beiden Kommunikationsaspekte, die Watzlawick (vgl. 1969/53) ein paar Jahre vor ihm einerseits als den Beziehungsaspekt und anderseits als den Inhaltsaspekt der Kommunikation begriff.

Beispielsweise zeigt ein Foto, das Peirce darstellt, im Inhaltsaspekt einen bärtigen Mann, den das Foto per ikonischer Bezeichnung veranschaulicht. Um zu wissen, daß das Foto Peirce per anschaulicher Ähnlichkeit bezeichnet, muß man ihn allerdings persönlich kennengelernt oder irgendeine Sprache erlernt haben, die seinen Namen kennt bzw. einen symbolischen Objektbezug für ihn hat. Der Inhaltsaspekt der Kommunikation, der den semantischen Objektbezug und den pragmatischen Interpretantenbezug (die Bedeutung) des Zeichens umfaßt, bezieht sich immer auf "etwas" anderes, auf das »was« einer Kommunikation. Aus diesem Grund möchte ich den Inhaltsaspekt weitgehend außer acht lassen.

Der Beziehungsaspekt der Kommunikation fokussiert, daß Farben und Formen eine Regel(-haftigkeit oder "Ordnung") beinhalten können, deren Wirkung Personen dazu veranlaßt, zueinander kommunikativ in Beziehung zu treten. Im Allgemeinen beobachten wir eine solche Regel als kulturellen Stil oder auch subkulturell nuancierte Form, die beide als organisierte (Bild-)Syntaktiken verwendet werden. So ist ein Bild in seiner syntaktischen Form beispielsweise zentralperspektivisch gemalt, um im Beziehungsaspekt die Mitteilung "naturgetreue Darstellung" zu symbolisieren. Es könnte aber ebenso im syntaktischen Stil des Pointillismus dargestellt sein, womit es seine Zugehörigkeit zur spätimpressionistischen Kunst(-Gruppierung) mitteilen würde. Selbst der quadratische, dicke Holzrahmen eines Bildes ist in unserem Kulturkreis als ein syntagmatisches Zeichen zu erkennen, das den Beziehungsaspekt "europäische Kultur" anzeigt.

Alle drei syntaktischen Weisen der Bilderzeugung folgen formalen Regeln . Solche Regeln geben zum einen an, mit Hilfe welcher kulturellen Perspektive etwas bildlich dargestellt werden kann, und zum anderen weisen sie darauf hin, in welcher Funktion die Darstellung einer visuell kommunikativen Bezeichnung beobachtet werden soll. Zweifellos kann die visuell kommunikative Bezeichnung, die bildlich dargestellt wurde, auch Erdachtes oder Fantasiertes veranschaulichen. Jedoch ist dasjenige, »was« dargestellt ist - in der hier theoretisch isolierten Betrachtung - für den Beziehungsaspekt weitgehend bedeutungslos. Denn dessen Funktion besteht darin, mittels der Gliederungsstruktur seiner Darstellungsformen, also mittels seiner Syntaktik, einen demonstrativ wirkenden Index zu präsentieren, der dem deutenden Bildbetrachter anzeigt, »wie« er ein Bild in seiner bildtypischen Funktion auf eine Weise versteht, die der Bildproduzent intendierte. Mit diesem Anzeigen einer Mitteilungsabsicht beginnt jede (visuelle) Kommunikation, obgleich indexikalisches Anzeigen auch außerhalb der Kommunikation, aber nicht außerhalb der Zeichen zu verwirklichen ist.

Die syntaktische Gliederung, »wie« Darstellungsformen in Bilder geordnet sind, entscheidet darüber, ob sich ein Bildner trotzt räumlicher Abwesenheit in die Lage versetzt hat, jemand anderem zu verstehen zu geben, daß ein Bild beispielsweise zu irgendeiner menschlichen oder zur gemeinsam geteilten Kultur gehört, eine Karikatur sein möchte, oder mittels der Zentralperspektive eine vorstellbare Realität darstellen soll. Einen visuell kommunikativen Appell üben ebenfalls Darstellungsformen aus, die spezifische Figur/Grundbeziehungen, charakteristische Oberflächenbearbeitungen, syntaktische Formationsregeln, Raumcodierungen oder spezifische Perspektiven nutzen. Allen demonstrativ wirkenden Darstellungsformen ist jedoch gemeinsam, daß sie sowohl eine allgemeinen kulturellen Typus folgen als auch in ihren formalen Strukturen als unnatürliche bzw. unwahrscheinliche Formationen wiedererkennbar sind. Daher übernehmen nicht alle, sondern meist konventionelle, syntaktische Strukturen der Bilder (Legizeichen) die kommunikative Funktion, darauf hinzuweisen, daß einige, optisch zu erkennende Gegenstände bildhafte Zeichen einer gemeinsam geteilten kulturellen Sphäre und Beziehung sein sollen.

Wie läßt sich die Behauptung untermauern, Bilder würden in einigen Merkmalen eine Kontinuität aufweisen, die sich derart wiederholt, daß Bildner erwarten können, mit welcher Erwartung die Betrachter ein Bild sehen werden? Welche kulturellen Bildstrukturen stabilisieren also die Erwartungserwartung, daß ein Bild als Bild verstanden wird?

2.1 Syntaktische Konventionen in Bildern

Unter Konventionen versteht die Soziologie allgemeine Verhaltensregelmäßigkeiten, die Personen oftmals stillschweigend einhalten und wechselseitig voneinander erwarten. Im Bereich der Kommunikation beziehen sich solche Regelmäßigkeiten auf Codes, die in Kommunikationssituationen invariant gehalten werden und ein Medium für die eigentliche Nachricht bieten. Denn die Mitteilung, man würde sich in dem gleichen „kulturellen Stil” ausdrücken, bietet den konsensuellen Bereich, damit jemandem zu verstehen gegeben werden kann, wie ein Bild von einem Pferd gemeint ist. Soll daher das Ergebnis einer visuell kommunikativen Handlung, also ein Bild, so strukturiert sein, daß eine andere Person es mit einer großen Wahrscheinlichkeit wie gemeint verstehen wird, muß zwischen beiden Kommunikationspartnern eine in Graden geteilte Konvention vorhanden sein. Eine solche, meist unabgesprochene Übereinkunft übernimmt die Aufgabe, ein spezifisches Verhalten bzw. Verstehen von Kommunikationspartnern erwarten zu können, indem diese sich an die semiotische Funktion und Bedeutung erinnern.

Beispielsweise berichteten Ethnologen, daß Mitglieder afrikanischer Stämme, in denen Bilder niemals gezeigt wurden und nicht zum kulturellen Ausdrucksrepertoire gehören, die Vorführung eines Kinofilms innerhalb ihres Kultes als die Darstellung verstorbener Vorfahren interpretierten oder mittels Polaroidfotos dargestellte Alltagsgegenstände nicht erkannten (vgl. Behrend 1990/565f.). Solche vom Bildner nicht intendierten Interpretationen haben sicherlich unterschiedliche Ursachen, eine davon ist jedoch, daß es den hier beispielsweise erwähnten Betrachtern unbekannt war, welche spezifische Kommunikationsfunktion durch den syntaktischen Code des Bildes indiziert sein sollte. Die mit der Bildkultur unvertrauten Betrachter konnten nämlich nicht ad hoc decodieren, daß es sich bei Bildern um eine Form der visuellen Kommunikation handelt, mit der ein - in unserem Sinne - tatsächliches Geschehen der Vergangenheit bildhaft dargestellt wurde.

Nuancierter als in diesem Beispiel eines vollständigen Mißverständnisses tritt der Beziehungsaspekt zwischen bildvertrauten Kulturen auf, indem fein differenzierte, "subkulturelle" Stile in der Malerei es kommunikativ unterstützen, daß sich zwischen Gesellschaften sowie sozialen Gruppen Ablehnung, Zuneigung oder eine territorial gebundene Identitätsbildung stabilisieren. Hier wäre z.B. der Stil des damaligen sozialistischen Realismus zu nennen, der in der ehemaligen Sowjetunion von offizieller Seite begründet wurde und das politische Programm der Solidarität symbolisch in Erinnerung rufen sollte. Oft passiert es auch, daß der Stil der Bilder im Beziehungsaspekt etwas kommuniziert, was kaum wie ursprünglich gemeint interpretiert wird, weil es einer anderen Epoche oder auch nur einem anderen Jahrzehnt entstammt. Beispielsweise verlieren die Graffiti-Bilder der achtziger Jahre heutzutage ihren ursprünglichen Beziehungsaspekt, indem ihr syntaktischer Aufbau der Formen selten noch den Protest und das Wohngebiet der jugendlichen Sprayer markiert, sondern in Werbung sowie Kunst allenfalls Jugendlichkeit ausdrückt.

Die genannten kulturellen Stile der syntaktischen Gestaltung sind keinesfalls mit der Grammatik einer Sprache gleichzusetzen, wenngleich sie auch einer syntaktischen Regel folgen, die sie mit anderen Bildern ihrer Zeit gemeinsam haben. Insofern ist es unmöglich, ein Lexikon der Bildbedeutungen zu erstellen, indessen ist ein Lexikon der syntaktischen Stile in der Bildnerei durchaus denkbar. Diesem Stilverzeichnis wären sogar die syntaktischen Regeln zu entnehmen, wie ein Bild zu erstellen ist, damit es syntaktisch korrekt der jeweiligen (Sub-)Kultur entspricht. Daher behauptet Nelson Goodman aus triftigem Grund: „Was pikturale Symbole auszeichnet, beruht nicht auf Ähnlichkeit oder irgendeiner anderen Beziehung zu etwas, worauf sie Bezug nehmen können, sondern auf ihren syntaktischen Beziehungen zueinander.” (Goodman 1989/175; vgl. Schelske 1997/152) Denn Bilder folgen innerhalb ihrer Kultur einer Regel, die es ihnen ermöglicht, vor dem Hintergrund einer konventionalisierten Syntax einen individuell ausgewählten Objektbezug darzustellen.

Aufgrund dieser Beliebigkeit der Zeichenkombinationen innerhalb eines quasi rahmenden Codes, der die Regelbefolgung mittels einer Erwartungserwartung stabilisiert, unterscheidet sich die visuelle von der verbalen Kommunikation. Denn von verbalen Sprachen ist bekannt, daß ihnen eine Grammatik und Syntax zugrunde liegt, die ausschließlich bestimmte Zeichenkombinationen erlaubt, sofern die Teilnehmer erwarten, vollständige Regelbefolgung und Fehlerfreiheit wäre für Kommunikation notwendig. Bilder der visuellen Kommunikation benötigen syntaktische Codierungen lediglich, um für Betrachter im kommunikativen Beziehungsaspekt adäquat demonstrativ zu wirken, ansonsten wirken Bilder durch Regelverletzung interessant, indem sie eine subjektiv allgemeine Beziehung zum Objekt aufnehmen und diese individuelle Thematisierung auf kollektiver Verständigungsebene anbieten. Der bereits erwähnte Stil des sozialistischen Realismus eignet sich nämlich durchaus dafür, alles bildhaft zu bezeichnen, was dem Bildner zusagt. Trotzdem bliebe der kultureigene Stil und dessen symbolische Nachricht erhalten, was dem sozialistischen Realismus heutzutage das Desinteresse seiner Betrachter einhandelt.

Der quasi rahmende Charakter der Syntaktik legt nicht die Bedeutung eines Bildes oder eines ikonischen Objektbezugs fest, sondern es läßt sich allenfalls die syntaktische Struktur einzelner Bilder verallgemeinern. Wobei diese Ordnung jeden Systematisierungsversuch vereitelt, die Verallgemeinerungen der unterschiedlichen Bildsyntaktiken derart zu differenzieren, daß sie sich in scharf voneinander getrennte Klassen der Bildstile unterscheiden ließen (vgl. Goodman 1989/148). Nach kulturellen Stilen lassen sich Bilder allenfalls lose zuordnen, da eine interpersonal eindeutige Ordnung keineswegs zu erreichen ist. Dementsprechend variiert auch die Bedeutung eines Stils in ihrem Verallgemeinerungsgrad damit, ob sie aus einem indexikalischen Hinweis oder symbolisch definierten Objektbezug herrührt. Sobald Bildstile sich jedoch z.B. einem eindeutigen Herrschaftssymbol zuordnen lassen, ist der Bedeutungspielraum recht gering. Denn innerhalb einer Kommunikationsstruktur sind Symbole vielfach stärker konventionalisiert als indexikalische Gesten oder Hinweise auf eine subkulturelle Gruppe.

Eine Ähnlichkeit, die zwischen Zeichenmitteln wiedererkannt wird und die infolge dieses Wiedererkennens als kulturspezifisches Merkmal bildhafter Zeichenmittel betrachtet wird, kann die syntaktische Dimension von Bildern in einzelnen Zuschreibungen einer demonstrativ wirkenden Regel stabilisieren. Könnte sich die Verwendungsweise eines Zeichenmittels nicht wiederholen, wäre die Unwahrscheinlichkeit von kommunikativen Formen selten von komplett zufälligen, wahrscheinlichen bzw. natürlichen Formen zu unterscheiden: Visuelle Bildkommunikation zwischen Personen wäre dann ein zufälliges Ereignis. Die syntaktischen Konventionen übernehmen somit auch eine erinnernde Aufgabe, um ein spezifisches Verhalten von Kommunikationpartnern erwarten zu können. Denn der Beziehungsaspekt in der visuellen Bildkommunikation erinnert an die kulturellen Gemeinsamkeiten, die eine Gesellschaft sich aufgebaut hat, um ikonische Inhalte an einen Kommunikationspartner adressieren zu können.

Ein kunsterfahrener Europäer erkennt beispielsweise oft ohne Mühe, ob ein künstlerisches Bild im Stil der sechziger, siebziger oder achtziger Jahre an sein Publikum gerichtet ist oder war. Auf gleiche Weise adressiert die gegenwärtige Technokultur ihre Flyer mit kleinen Bildchen an das entsprechende Publikum, das schon am syntaktischen Stil erkennt, daß es höchstwahrscheinlich angesprochen werden soll. Denn auch die heutigen Produzenten der Bilder wissen, daß die Adressierung im Beziehungsaspekt der visuellen Kommunikation am besten dann gelingt, wenn folgender Satz zutrifft:„Communication with another person is only possible if there is some degree of common memory.” (Lotman. 1990/63)

2.2 Semiosphäre

Mit der Adressierung im Beziehungsaspekt der visuellen Kommunikation versteht der Betrachter innerhalb seiner kulturellen Sphäre eine Eigenkommunikation, ohne daß er das inhaltliche »Was« im Bild schon verstanden zu haben braucht. Ich möchte diese Sphäre mit Lotman als "Semiosphäre" (Lotman 1990/18) markieren, obgleich ein Zeichenrepertoire kultureller Stile und Ausdrucksmöglichkeiten ebenfalls wie die naturwissenschaftlichen Versuche mit der Biosphäre I und II auf die menschliche Pflege angewiesen bleiben.

Der Terminus Semiosphäre deutet auf das Charakteristikum hin, daß die syntaktisch geordnete Bildkultur eine eigene Weise der Darstellung ermöglicht, deren bildhafte Weltkonstruktion zwischen den Kommunikationspartnern autopoietisch erzeugt und wechselseitig - notwendigerweise mittels indexikalischen und symbolischen Objektbezügen - bestätigt wird. Die Semiosphäre charakterisiert deshalb im Sinn Lotmans einen "semiotischen Raum, außerhalb dessen die Existenz von Semiosen unmöglich ist" (Lotman 1990a/290).

Die Gesamtheit des semiotischen Raumes impliziert, daß jedes Zeichenrepertoire mit jeweils anderen verwoben ist. Dies läßt sich für Bilder leicht begründen. Denn die Bildfunktion kann nicht als solche konzeptualisiert werden, wenn es dem Betrachter mittels symbolischer Begriffe nicht möglich ist, semiotisch zu abstrahieren, was ein Bild ist und wie dessen kommunikative Aufgabe nachzuvollziehen sein soll. In seltenen Ausnahmefällen übernehmen zwar zunächst indexikalische Objektbezüge eine hinweisende Funktion, die z.B. in Ritualen eine Verhaltensorientierung gegenüber Bildern bietet, jedoch sind Symbole dann daran beteiligt, aufzuzeigen, was für ein Ritual abgehalten wird. Aus diesem Grund sind die syntaktischen Strukturen der Bilder wie auch ihr Beziehungsaspekt auf sprachliche Symbole angewiesen. Mit anderen Worten: Ohne die Existenz irgendeiner Sprache ist die Existenz einer wechselseitigen Kommunikation mittels Bildern unmöglich. Denn der Beziehungsaspekt gliedert sich zwar mittels der Syntaktik in die Semiosphäre der Kultur ein, dennoch regelt die Syntaktik allein nicht die Bedeutung. Für die Bedeutung der Bilder bedarf es notwendigerweise einer Pragmatik, die das kommunikative Handeln der Betrachter einbezieht.


Literatur:

Bateson, Gregory: Ökologie des Geistes, Anthropologische, psychologische, biologisch und epistemologische Perspektiven, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1981

Behrend, Heike: Rückkehr der gestohlenen Bilder, Ein Versuch über "wilde" Filmtheorien, In: Anthropos, Internationale Zeitschrift für Völker- und Sprachenkunde, Nr.85, Sankt Augustin/Fribourg, 1990, S.564-570

Goodman, Nelson; Elgin, Catherine Z.: Revisionen: Philosophie und andere Künste und Wissenschaften, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989

Lotman, Yuri M.: Universe of the Mind, A Semiotic Theorie of Culture, London, New York: I.B. Tauris & CO. LTD, 1990


Lotman, Juri M.:Über die Semiosphäre, In: Zeitschrift für Semiotik, Band 12, Heft 4, S. 287-305, Tübingen: Stauffenburg Verlag, 1990a

Morris, Charles William: Grundlagen der Zeichentheorie/Ästhetik der Zeichentheorie, Frankfurt a.M.: Fischer 1988
Oehler, Klaus Charles Sanders Peirce, München: Beck 1993

Peirce, Charles Sanders: Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Vol. 1-6, Ed. Charles Hartshorne u. Paul Weis., Cambridge (Mass.): Harvard University Press 1931-1935

Schelske, Andreas: Die kulturelle Bedeutung von Bildern, Soziologische und semiotische Überlegungen zur visuellen Kommunikation, Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 1997

Watzlawik, Paul; Beavin, Janeth H.; Jackson, Don D.: Menschliche Kommunikation, Formen, Störungen, Paradoxien,Verlag Hans Huber: Bern Stuttgart 1969

 



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