Visuell kommunikatives Handeln mittels Bildern
in: Sachs-Hombach, Klaus; Rehkämper, Klaus:
Bildhandeln - Interdisziplinäre Forschungen zur Pragmatik bildhafter Darstellungsformen,
Magdeburg 2002, 10 Seiten

 

Schelske, Andreas
2002
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Summary

Die Überlegung zur Pragmatik des visuell kommunikativen Bildhandelns gehen zunächst von der gemeinsamen Basis aus, auf die sich der Pragmatismus sowie die Pragmatik hinsichtlich der Bedeutung eines Zeichens bzw. Objekts gründet. Im Anschluss daran folgt eine kurze Darlegung, welcher Interpretantenbezug eines Zeichens auf die Bedeutung eines Bildes eingeht. Im dritten Schritt zeigt auf, welche visuell kommunikativen Handlungen mit Bildern vollzogen werden können.

The first part of the following consideration, the common basis of pragmatism and of the pragmatical meanings of signs, pictures and objects is outlined. It is then briefly discusses which mental interpretant of a sign is relevant for the meaning of a picture. Finally, som types of picture based communicative actions are analyzed.

Visuell kommunikatives Handeln mittels Bildern
Andreas Schelske

Einleitung

Für Publizisten in den Massenmedien ist die Epoche der Bilder angebrochen. Das Wissen der Weltgesellschaft wird ihrer Meinung nach zukünftig bildhaft vermittelt sowie gespeichert. Sie sowie einige Wissenschaftler stellen den pictural turn über den linguistic turn, indem sie die erlernte Bild- für wichtiger als die Sprachkompetenz des Individuums einschätzen. Spontan ist zunächst jedem einsichtig, dass Bilder über kulturelle Sprachgrenzen hinweg etwas visuell kommunizieren. Bilder globalisieren und homogenisieren die ehemals kulturell fragmentierte Kommunikation stärker als die Sprache. Auch dass Bilder spezifische Erinnerungs- sowie Gedächtnisfunktionen für Kulturen übernehmen, bestreitet niemand. Aber welche Bedeutungen die Bilder in den jeweiligen Betrachtungssituationen konkret kommunizieren, überprüfen selbst Personen gleicher Kultur und Gesellschaft selten untereinander. Meist nehmen Betrachter an, andere Betrachter des Bildes hätten vermutlich eine vergleichbare Bedeutung verstanden wie sie selbst. Selten diskutieren sie ihre interpretierten Bedeutungen. Eher wundern sie sich, dass jemand über ein Bild lacht, dessen Bedeutung sie eventuell ganz anders verstanden haben. Die Bedeutung eines Bildes konstituiert sich zwar in der Praxis, aber befragt wird sie in dieser selten - oft versteht sie jeder unbefragt auf seine Weise. Wie sich diese vielfältigen Bedeutungen eines Bildes aus der interpretatorischen Praxis ergeben, möchte ich in folgenden drei Schritten skizzieren: Der erste Schritt greift die semiotische Definition der Pragmatik in Bezug zum Pragmatismus auf, der zweite umreißt einen pragmatischen Zeichenbegriff und der dritte Schritt zu einer Bildpragmatik, zeigt drei grundlegende Aspekte des visuell kommunikativen Handelns mit Bildern auf. Alle drei Schritte zielen auf die Darlegung, wie Bedeutungen, mit der bildhafte Zeichen belegt werden, aus dem pragmatischen Handeln interagierender Individuen zu verstehen sind.

1. Pragmatismus: Handlung als Bedeutungsinterpretation

Im Anschluss an die pragmatische Wende, die mit der philosophischen Neuorientierung in den 70er Jahre vollzogen wurde, formuliert HILARY PUTNAM, welches der zentrale und eben so scheinbar simple Kernpunkt des PRAGMATISMUS ist: „die Betonung des Vorrangs der Praxis“ (PUTNAM 1995, 61) vor der Theorie. Theoretische Annahmen sowie Ideen sollen dem „Druck“ der Empirie wiederholt standhalten, um Orientierung und Funktionalität zu sichern. Aussagen im Pragmatismus spitzen sich daher nicht auf die innere Konsistenz einer widerspruchsfreien Theorie zu. Denn im gewissen Sinne geht es dem Pragmatismus weniger um eine ausformulierte Theorie, sondern wesentlich dringlicher darum, wie sich mit konkreten Problemen innerhalb eines beobachtbaren Kontextes umgehen lässt. (vgl. REICHARDT (2000, 163) Einen korrespondenztheoretischen Wirklichkeitsbezug der Erkenntnis verneint der Pragmatismus. Er formuliert die Erkenntnis der Wirklichkeit als eine, die auf in Handlungselementen eingewobenen Nützlichkeitszusammenhängen beruht. (vgl. SANDBOTE 1999)

Diese pragmatistische Grundidee einer Erkenntnis infolge kooperativer menschlicher Interpretation der soziokulturellen wie natürlichen Lebenswelt, zieht sich durch den gesamten Pragmatismus. Der Begründer der pragmatistischen Denkweise ist CHARLES SANDERS PEIRCE. Bereits 1878 formulierte er in der Abhandlung „How to Make Our Ideas Clear“ die zentrale These seiner sogenannten „Pragmatischen Maxime“. Mit ihr begründet Peirce sowohl seine semiotische Pragmatik als auch seinen erkenntnistheoretischen Pragmatismus. Sie lautet: „Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Bezüge haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in Gedanken zukommen lassen. Dann ist unser Begriff dieser Wirkung das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes" (PEIRCE 5.402; Übersetzung nach OEHLER 1993, 82) Zwar wurde diese Ausgangsthese von JAMES, DEWEY, MEAD und MORRIS sowie anderen Pragmatisten unterschiedlich interpretiert und ausgearbeitet, dennoch blieb der Kerngedanke erhalten. Denn die pragmatische Maxime behauptet, dass die Bedeutung von etwas der Begriff seiner Wirkung ist.

Unter Bedeutung versteht PEIRCE aber nicht ausschließlich den Begriff wahrnehmbarer Eigenschaften, sondern Bedeutung umfasst ebenfalls das konzeptuelle Gefüge von Interpretationen und Zeichenkontexten, in denen die wahrnehmbaren Eigenschaften z.B. eines Bildes eingebettet sind. Der erkenntnistheoretische Aspekt des Pragmatismus verdeutlicht, dass Bedeutung aus der jeweilig aktualisierten Interpretation von etwas in seinem spezifischen Kontext hervorgeht. Vergleichbares betont ebenfalls der semiotische Aspekt der Bedeutung eines Zeichens. Dort ist Bedeutung eine Frage der Pragmatik, wie wir mit den Objekten, Zeichen und Bildern und deren Wirkungen innerhalb unserer Interpretationen umgehen. Bedeutung schreibt sich nicht unverrückbar in singuläre Objekte, Zeichen oder Bilder ein, sondern sie konstituiert sich erst in verschiedenen Herkunfts-, Verwendungs- und Verwertungskontexten, mit denen sie zweifellos auch differiert. Bedeutungsunveränderliche Objekte sowie bildhafte Zeichen kommen innerhalb gesellschaftlicher Handlungsfelder ebensowenig vor wie bedeutungslose. (vgl. PUTNAM 1995, 132; SCHELSKE 1997, 16f.) Die Frage nach der Bedeutung eines bildhaften Zeichens lautet unter der pragmatischen Maxime nicht: „Was bedeutet das bildhafte Zeichen?“, sondern sie lautet: Wie werden bildhafte Zeichen in soziokulturellen Kontexten verwendet, um ihre Bedeutung zu konstituieren und interpersonal mitzuteilen? Insofern begegnet die Pragmatik ebenfalls dem Untersuchungsgegenstand der Bedeutung von Bildern in einer unabschließbaren, offenen Fragestellung.

2. Pragmatik der bildhaften Zeichen

Semiotische Untersuchungen liefern zwar, sofern sie im Pragmatismus von CH. W. MORRIS und CH. S. PEIRCE verwurzelt sind, die nicht unumstrittenen Unterscheidungen, wie sich Zeichen in den Kategorien der Syntaktik, Semantik und Pragmatik unterscheiden lassen, doch was insbesondere das begriffliche Konzept der Pragmatik zu leisten imstande ist, bleibt in den Theorien zur bildhaften sowie verbalen Kommunikation weithin undeutlich. Über das Beschreibungsfeld der Syntaktik sind sich Semiotiker und Linguisten verhältnismäßig einig, dass hier die Beziehungen der Zeichen untereinander zum Untersuchungsgegenstand gehören. Bei dem Gegenstand der Semantik besteht bereits Uneinigkeit. Die Standarddefinition bietet Morris an, in dem er die Semantik als eine definiert, die die Beziehung der Zeichen zu den Gegenständen thematisiert. (vgl.: MORRIS 1988, 90ff.) Strittig ist in den wissenschaftlichen Disziplinen, welche semantischen Beziehungen die Zeichen zu den Gegenständen eingehen. Ist es eine, die Bedeutung grundsätzlich impliziert oder lässt sich die semantische Beziehung auch als eine der Bezeichnungsfunktion ohne Bedeutung auffassen? (vgl. SCHELSKE 2001)

Linguistisch orientierte Theoretiker sehen in der Semantik ausschließlich die Ausdrücke, wie sie in den Beziehungen zu ihren Gegenständen eine Bedeutung erlangen. Danach wäre Semantik die Lehre über die Bedeutung und die Wahrheitsbedingungen von Zeichen. Demgegenüber formulieren die Semiotiker BENSE und WALTHER (vgl. 1973) eine Semantik, die ausschließlich die Bezeichnungsfunktion eines Zeichens erfasst und Bedeutung vollständig dem pragmatischen Zeichenaspekt überlässt. Semantik in diesem semiotischen Sinne beinhaltet ausschließlich die Bezeichnungsfunktion von semantischen Strukturen einer Sprache oder eines kulturellen Bildstils. Im gleichen Zuge überantworten BENSE und WALTER alle Bedeutung eines Zeichens der Dimension der Pragmatik. In dieser semiotischen Dimension der Pragmatik konstituiert sich die Bedeutung eines Zeichens über die Handlungsaspekte, die ein Interpret während seiner Interpretation der syntaktisch-semantischen Bezeichungsrelation in das Zeichen hineinlegt. Mit diesem Schritt richtet sich die semiotische Pragmatik, die sich von PEIRCE ableitet, gegen die linguistische Auffassung, die unter Pragmatik nur jene Bedeutungsaspekte zu verstehen versucht, die in eine Semantiktheorie der Bedeutung nicht zu integrieren sind. Pragmatik in linguistischer Betrachtungsweise könnte dann sozusagen nur noch als unreine Resttheorie fungieren, die man benötigt, um die Semantik in scheinbarer Brillanz der Erklärungskraft erhalten zu können. Diese unglücklich gewählte Unterscheidung vorrangig linguistischer Theoriebildung ist unter semiotischen Gesichtspunkten einer PEIRCE Interpretation, wie sie BENSE und WALTER vornehmen, nicht aufrechtzuerhalten.

Mit dem Linguisten LEVINSONS (vgl. 1994, 32) lässt sich zwar noch sagen, Pragmatik beschäftigt sich mit den Bedeutungen, die von einer Semantik und deren Wahrheitsbedingungen nicht erfasst werden. Aber in der rigorosen Begriffsverwendung der semiotisch definierten Pragmatik, übernimmt die Semantik lediglich eine Bezeichnungsfunktion, die in Verwendungskontexten der (bildhaften) Zeichen zu einer pragmatischen Bedeutung gelangt. Wahrheitsbedingungen der Zeichen lassen sich zwar für semantische Zeichenstrukturen formulieren, genauer gesagt, sind sie von symbolischen Bezeichnungen abhängig, aber ohne die pragmatische Interpretation der Bedeutung lassen sich auch Wahrheitsbedingungen nicht erkennen. Insofern ist LEVINSON zuzustimmen, dass Pragmatik sich mit der Bedeutungsfunktion der Zeichen minus Semantik beschäftigt. (vgl. LEVINSONS 1994, 32) Gleichwohl wendet sich der hier forcierte Pragmatikbegriff dagegen, dass Pragmatik nur die besonderen Bedeutungsaspekte von Zeichenhandlungen thematisiert, die man mit der Semantik einer direkten Referenz und spezifischen Wahrheitsbedingungen - z.B. eines Satzes - nicht erklären kann. Denn die isolierte, semantische Bezeichnungsfunktion vollständiger Zeichen ist außerstande von der Pragmatik autonome Bedeutungsaspekte anzugeben oder zu überliefern. Aus diesem Grund möchte ich, obwohl eine eingehendere Begründung der Thesen vorgebracht werden müsste, für die hier kein Platz ist, die Pragmatik wie folgt verstehen: Pragmatik umfasst die in ein Zeichenhandeln eingebettete Bedeutungsfunktion eines Zeichens dadurch, dass ein Zeichenverwender vermöge seiner Interpretation einen Interpretanten der Bedeutung eines Zeichens aktualisiert. Pragmatik ist in dieser Definition, als die Bedeutungsaktualisierung im Zeichenhandeln eines Individuums aufzufassen. Ein Interpretationsabsolutismus verunmöglicht sich mit dieser pragmatischen Auffassung einer Zeicheninterpretation.

3. Die pragmatische Zeichendimension

Peirce entwickelte eine triadische Zeichenrelation, die in dem syntaktischen Gliederungs- bzw. Mittelbezug, dem semantischen Bezeichnungsbezug und dem pragmatischen Bedeutungs- bzw. Interpretantenbezug aus jeweils drei Zeichen unterschiedlicher Kategorien bestehen. Obwohl ein vollständiges Zeichen unabdingbar über einen syntaktischen Mittelbezug als auch über einen semantischen Bezeichnungsbezug verfügen muss, um als Zeichen zu fungieren, möchte ich im folgenden lediglich die drei Zeichenbezüge des Interpretanten vorstellen, um zügig auf das Thema des Zeichenhandelns zu kommen.

Das Rhema als erster pragmatischer Interpretant ist dadurch kennzeichnet, dass die Bedeutung, die in Bezug auf eine syntaktisch-semantische Zeichenrelation interpretiert wird, stets offen ist. Beispielsweise zieht ein perspektivisch gezeichnetes, ikonisches Bildzeichen immer eine Bedeutung nach sich, die von dem Interpreten willkürlich gewählt wird, also interpretativ offen ist und keiner Regel folgt. Ein Rhema kennzeichnet deshalb eine (ikonische) Aussage, die aussagenlogisch weder wahr noch unwahr sein kann oder eine logische Widerspruchs- und Negationsmöglichkeit beinhaltet. Alle Bilder verfügen in ihren ikonischen Bezeichnungsbezügen der Ähnlichkeit über eine rhematische, also offene, unerwartbare Bedeutung. Sie behaupten lediglich die bedeutete Identität, das etwas so sei, wie sie es per Ähnlichkeit bezeichnen. Aufgrund seiner interpretativ offenen Bedeutung charakterisiert das Rhema den Bedeutungsanspruch von den meisten Bildern in ihren ikonischen Bezeichnungsfunktionen.

Im Interpretantenbezug des Dicenten können spezifische Bilder einen Sachverhalt behaupten, dass etwas als eine reale Tatsache so existiert, wie es gezeigt wird. Das visuell kommunikative Handeln mittels der Lichtbildnerei behauptet beispielsweise kulturgemäß die Existenz seines bezeichneten Objekts. Eine solche behauptete Bedeutung kann wahr oder unwahr sein, weil potentiell entscheidbar ist, ob das bezeichnete Objekt in seiner Bedeutung als eine Tatsache eingeschätzt wird oder nicht.

Den dritten pragmatischen Interpretantenbezug nennt Peirce „Argument“. Ein Argument kommt in bildhaften Zeichen nicht ohne eine sprachliche Unterstützung vor. Es beruht auf einem Symbolrepertoire, das über eine inhärente Gesetzlichkeit verfügt. Im Gegensatz zur symbolischen Sprache gibt es für Bilder weder ein Alphabet noch ein überschaubares Zeichenrepertoire, noch eine aussagenlogische Bezugsordnung. Aufgrund dieser ungeregelten Bedeutungsfunktionen erhalten Bilder nahezu nie innerhalb eines Arguments eine Bedeutung. Eher im Gegenteil liegt der herausragende Charakter von Bildern darin, jede Logik und Plausibilität eines Arguments zu unterwandern.

Die drei Bedeutungsklassen der Interpretantenbezüge heben hervor, dass bildhafte Bezeichnungsweisen vorrangig eine bedeutungsoffene Interpretation nach sich ziehen. Eine vollständige Pragmatik ist aber gehalten, neben den Klassen von interpretierten Bedeutungen auch anzugeben, welche visuell kommunikativen Handlungen mit Bildern vollzogen werden. Dies leistet der folgende Teil.

4. Visuell kommunikatives Bildhandeln

In der Praxis dominieren Bilder die meisten medialen Kommunikationssituationen. Doch trotz des Internets antwortet bisher kaum jemand auf ein Bild mit einem Bild. In den meisten visuell kommunikativen Situationen, in denen Bilder verwendet werden, reagieren die Rezipienten mit dem Zeichen des Schweigens, mit einer Geste oder verbalen Äußerungen. Interaktives Bildhandeln zwischen zwei Individuen, die Bilder mit Bildern beantworten, kommt selten vor. Denn Bildhandeln beruht zuallererst auf der kommunikativen Kompetenz des Bildproduzenten. Vom Bildrezipienten fordert die kommunikative Situation nicht, dass er selbst fähig ist, Bilder zu erstellen. Sein Bildhandeln kann sich darauf reduzieren, ohne die visuelle Bildkommunikation selbst zu gefährden, die ihm gezeigten Bilder mit entsprechender Wahrnehmungs- sowie Interpretationskompetenz zu begegnen. Aufgrund dieser reduzierten Anforderungen an die Rezipientenseite möchte ich diese unbeachtet lassen und den Rahmen der pragmatischen Geltungsansprüche thematisieren, die ein visuell kommunikativ handelnder Akteur einbezieht.

Von der Pragmatik einer sprachlichen Aussage ausgehend, formulierte HABERMAS drei mögliche Geltungsansprüche. Die kommunikativen Handlungen eines Akteurs können sich ihm zufolge auf objektive/teleologische, soziale/normenregulierte und subjektive/dramaturgische Weltkonzeptionen beziehen. (vgl. HABERMAS 1988b, 18) Wie diese drei kommunikativen Handlungsbezüge für die visuelle Kommunikation mit ikonischen Objektbezügen relevant werden, möchte ich im folgenden erproben.

Gemäß HABERMAS (vgl. 1988a, 125ff.; 1988b, 183f.) verfolgt ein Akteur in teleologischer oder objektivierender Handlungsmotivation ein Erfolgskalkül bzw. bewirkt das Eintreten eines bestimmten Ziels mit adäquaten Mitteln. Dieses Ziel strebt er an, wenn er seinem Handeln die Erwartung zugrunde legt, dass seine Objektivierungen einen anderen Akteur in dessen Entscheidungen beeinflussen, weil er sich und den anderen an verwandten Weltmodellen von Objektivierungen orientiert sieht. Unter dieser Voraussetzung der wechselseitigen Orientierung beansprucht der Handelnde eine Geltung, die "... nach Kriterien der Wahrheit und der Wirksamkeit beurteilt werden /.../ [kann oder sein soll]" (HABERMAS 1988a, 130).

Ikonischen Bildern fehlt die grammatikalische Bezugsordnung, um in sich wahre oder unwahre Aussagen zu machen. Die bildhafte Generalisierungskraft unterschreitet sogar noch die von situativen Namen. So veröffentlicht die bildhafte Kommunikation selbst auch keine Argumente. Sie publiziert singuläre Existenzbehauptung, die in symbolischen Interpretationen allenfalls ein Argument stützen. Mit bildhafter Kommunikation lässt sich daher der Effekt erzielen, dass Individuen meinen, eine ikonisch bezeichnete Welt könnte dem optisch ähnlich sein, wie sie objektivierend mit dem Bild bezeichnet wurde.

Beispiele, die die objektivierende Bedeutung visuell kommunikativen Bildhandelns unterstreichen, bieten Markenstrategien der Werbung. Um ein Produkt zu verkaufen, bauen Werbestrategen ihren Erfolg darauf, dass der Betrachter einen Gegenstand erwerben möchte, weil er zwischen diesem und einer bildhaften Darstellung von ihm eine Ähnlichkeit erwartet. In Werbestrategien soll aber nicht nur das Produkt verkauft werden, sondern zudem dessen Markenzeichen mit einer Sozialdimension verbunden werden, deren symbolisierter Lebensstil sich mit dem Produktkonsum einstellen soll. In solch teleologischer Orientierung handelt man im Illusionsmarketing nach dem Prinzip: sehen Sie ihre Stars mit dem von ihnen begehrten Produkt und Sie könnten beim Kauf dieser wie jene aussehen oder wenigstens Star-Lebenskontexte kommunikations- und integrationswirksam symbolisieren. Ohne Sprache oder zumindest ohne soziokulturelles Hintergrundwissen, das die öffentliche Bedarfsbeeinflussung in ihrer Bedeutung markiert, wäre zwar die Verkaufsbotschaft unverstanden, aber der Effekt des Bildes hätte trotzdem ausgereicht, um den Betrachter zur Existenzannahme einer bestimmten Person oder Sache zu bewegen. Insofern erlangen manche Bilder eine Wirksamkeit, die als Objektivierung einer optisch wahrscheinlichen Welt gelten kann.

In dieser objektivierenden Bedeutung nehmen Bilder eine herausragende Stellung in der gesellschaftlichen Kommunikation ein, weil ihr ikonisches Wissen meist glaubhafter als sprach-symbolisches Wissen die Existenz einer Sache beweisen soll. Mit anderen Worten: In teleologischer Handlungsmotivation evoziert das visuell kommunikative Bildhandeln eine Bedeutung, die innerhalb der Sozialintegration etwas Abwesendes zur unnegierbaren Anwesenheit einer sozialkommunikativen Kopräsenz verhilft.

Mit dem Begriff des normenregulierten/sozialen Handelns spricht HABERMAS einen Akteur an, der sein Handeln an Normen und Werten seiner sozialen Gruppe ausrichtet. Alle Handelnden, die die jeweiligen Normen in ihrer Gültigkeit akzeptieren und als gesollt anerkennen, gehören nach HABERMAS derselben sozialen Welt, demselben Kreis von individuellen Adressaten an. Die "... Norm besteht oder [genießt] soziale Geltung ..., wenn sie von den Normadressaten als gültig oder gerechtfertigt anerkannt wird" (HABERMAS 1988a, 132, vgl. 127ff.; 1988b, 183).

Für das ausschließlich visuell kommunikative Handeln lassen sich solche Normen nur bedingt beschreiben, weil ästhetische Normverletzungen z.B. in der Kunst, Werbung und im Fernsehen besonders anerkannt und dem bildinhärenten Kommunikationsprinzip »Aufmerksamkeit« förderlich sind. Rein ästhetische Kontexte, in denen mit ikonischen Bezeichnungsformen visuell kommuniziert wird, können allenfalls hinsichtlich bildhafter Stilnormen nach ihrer normativen Angemessenheit beurteilt werden. Der Begriff des normenregulierten Handelns ergründet deshalb weniger ikonische Bilderwelten, sondern stärker Legitimationen und normative Angemessenheiten einer symbolisch konstruierten Sozialwelt. Die ikonische Kommunikation ist demgegenüber in der Lage, symbolische Normierungen subversiv zu unterlaufen, sofern ihre bedeutungsoffenen Formen im Ikon jeden eindeutig symbolischen Status zurückweisen können.

Auch gegenwärtig unterlaufen bedeutungsoffene Bilder vielfach normative Regulierungen einer symbolischen Weltkonzeption. Beispielsweise darf man Bilder von nackten, verletzten oder toten Menschen in unterschiedlichsten Situationen zeigen. Zu sozialen Normverletzungen kommt es alltäglicherweise erst dann, wenn symbolische Kontexte hinzutreten, in denen kulturelle Werte symbolisch, also nicht ästhetisch und nicht ikonisch, verletzt werden. Zum Beispiel empfinden es manche Betrachter als eine Überschreitung sozialer Normen, wenn die Firma Benetton ihren Namen dadurch positiv zu etablieren sucht, dass sie Bilder blutiger Kleidungsstücke eines toten Soldaten mit ihrem Firmenlogo zeigt. Der Begriff des normenregulierten Handelns erhält daher für die visuelle Kommunikation eine zurückzuweisende Relevanz: In unserer Kultur erhalten Bilder ihr sozialintegratives Moment oftmals dann, wenn sie ihre Normdistanzierung vorsymbolisch ausspielen, indem sie symbolisierte Normen subjektiv einsichtig unterlaufen.

Mit dem Begriff des subjektiven oder dramaturgischen Handelns beschreibt HABERMAS einen Akteur, der weder Objektivationen noch Normatives in der sozialen Gruppe thematisieren möchte. Das dramaturgische Handeln bezieht sich "... auf Interaktionsteilnehmer, die füreinander ein Publikum bilden, vor dessen Augen sie sich darstellen" (HABERMAS 1988a, 128). In diesem dramaturgischen Handeln versucht der Akteur etwas zu konzeptualisieren, was er sich selbst und auch jeder andere ihm als subjektive Expression seiner Wünsche und Gefühle zurechnet.

HABERMAS zufolge "... [setzt] das dramaturgische Handeln ... Sprache als Medium der Selbstinszenierung voraus" (HABERMAS 1988a, 142). Wie aber gleich zu zeigen ist, kann das dramaturgische Handlungsmodell für Bilder auf Sprache und Symbolisierungen als Medium verzichten und erhält dadurch eine wesentlich größere Wahlfreiheit der
Inszenierung in stilistischen und ästhetischen Ausdrucksformen.

Die herausragende Attraktivität von Bildern liegt in deren semantischer Bezeichnungs- und pragmatischer Bedeutungsautonomie. Was man mit einem Bild ikonisch bezeichnen und rhematisch bedeuten will, muss keiner kollektivierten Regel, Vorverständigung oder symbolischen Sprache gehorchen. Ein Individuum kann ein Motiv vollständig subjektiv wählen und trotzdem erhält dieses infolge der kulturellen Zentralperspektive eine annäherndemonosemantische Bezeichnungsfunktion, die vieldeutig (polypragmatisch) interpretiert werden kann. Diese zurechenbare Subjektivität ist beispielsweise mit einem Fotoapparat zu begründen, der vor keinem ausgewählten Motiv zurückweicht. Mit ihm kann man alles subjektiv dramatisieren und doch auf die zuschauerbezogene Stilisierung vertrauen, dass fast alles im Foto wiedererkannt und visuell verstanden wird. Ob dabei außerdem die subjektive Expression, so wie gemeint, in der Bedeutung verstanden bzw. vom Betrachter nachvollzogen wird, ist dabei vollständig offen.

Die Dramatisierungen in Bildern leben davon, dass sie soziologistischer Symbolinterpretation zu entfliehen suchen. Der individuellen Autonomie, d.h. ihrer subjektiven Selbstgesetzlichkeit, ist es zu verdanken, dass ein dramatisierendes Bild einem Individuum und/oder einer individuellen Situation zugeschrieben wird. Nichts außer der individuellen Subjektivität und der originell einzigartigen Situationsaufnahme nämlich stehen dafür ein, was im »Inhalt« des kulturellen »Wie« eines ikonischen Bildes dramatisiert wird. Die objektivierenden Kulturperspektiven nehmen keinen Anteil daran, haben keine Emotion dafür, warum sich die situative Subjektivität eines Bildners mittels des Bildes so darstellt, wie sie sich darstellt. Die individuelle Situation ist in der kommunikativen Verständigungsabsicht erfasst, obwohl niemand unverzüglich symbolisieren kann, wie sie in ihrer Bedeutung zu verstehen ist. Denn Subjektives ist überdies vom Subjekt erst in seiner Dezentrierung von sich selbst verbal-symbolisch zu verstehen, indem es sich aus der Position des verallgemeinerten Anderen fragt, was sagt mir die Emotion, die mir widerfuhr. Daher sperrt sich der dramatisierende Effekt des Bildes jeder symbolischen Verortung; entweder man erlebt die Dramatik eines Bildes oder man erlebt sie nicht. Individuen fühlen sich deshalb innerhalb ihrer expressiven Subjektivität verstanden und sozial integriert, sobald sie wechselseitig vermuten, sie hätten Gleiches miterlebt. In ikonischer Subjektivierung sucht man sich dem mimetisch anzunähern, dem man ansonsten nicht kommunikativ begegnen könnte. In diesem vorsymbolischen Tun immunisieren sich Bildner gegen sprachliche Konsensbemühungen und objektivierende Handlungsorientierungen. Sie erwecken ihre subjektive Bedeutung im dramaturgischen Handeln unmittelbar direkt kraft gegenständlicher Bildpräsenz eines aktualen Geschehens. Denn Bildbetrachtung ist ausschließlich als aktuales Wahrnehmungsgeschehen zu erleben, ansonsten ist sie ein Denken, ein Symbolisieren, aber keine Bilderfahrung eines Wirklichkeitsflusses.

Das dramaturgische Bildhandeln kennzeichnet die herausragende, pragmatische Bedeutung der Bildkultur für Gesellschaften. Denn Bilder eignen sich für die dramaturgische Handlungsmotivation besonders, weil sie erstens der individuellen Selbstinszenierung ein Medium bieten, das innenorientiertem Darstellungswillen nahezu keine konventionellen Grenzen setzt. Und zweitens, weil symbolisch definierte Normen mittels ikonischer Subjektivierung im visuell kommunikativen Bildhandeln anarchisierend unterschritten werden können.


Bibliographie:

HABERMAS, JÜRGEN (1988a): Theorie des kommunikativen Handelns, Band 1
(1988b): Theorie des kommunikativen Handelns, Band 2, Frankfurt a.M., Suhrkamp

BENSE, MAX; WALTHER, ELISABETH (1973): Wörterbuch der Semiotik, Köln

LEVINSON, STEPHEN C. (1994): Pragmatik, 2. unveränderte Auflage, Tübingen: Niemeyer

MORRIS, CHARLES WILLIAM (1988): Grundlagen der Zeichentheorie, Ästhetik der Zeichentheorie, Frankfurt a.M.: Fischer

OEHLER, KLAUS (1993): Charles Sanders Peirce, München: Beck

PEIRCE, CHARLES SANDERS (1931) Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Vol. 1-6, Ed. Charles Hartshorne u. Paul Weis., Cambridge (Mass.): Harvard University Press 1931-1935

PUTNAM, HILARY (1995): Pragmatismus, Eine offene Frage, Frankfurt/M.: Campus Verlag

REICHARDT, ULFRIED (2000): Selbstreferenz, Emergenz und die Zeit der „Neuen Welt“: Zum Verhältnis von Philosophie und Demokratie im amerikanischen Pragmatismus und in der Systemtheorie, in: Wägenbauer, Thomas (Hg.): Blind Emergenz? Interdisziplinäre Beiträge zu Fragen kultureller Evolution, Heidelberg, Verlag der Autoren, S. 163-178

SANDBOTE, MIKE (1999): Pragmatische Medienphilosophie und das Internet in: Marotzki, Winfried; Sandbothe, Mike (Hg); Digitale Subjektivität. Bildungsphilosophische Grundlagenprobleme virtueller Welten, Weinheim, Beltz: Deutscher Studienverlag

SCHELSKE, ANDREAS (2001): Bedeutung oder Bezeichnung, in: Sachs-Hombach,K.; Rehkämper, K.; Vom Realismus der Bilder: Interdisziplinäre Forschung zur Semantik bildlicher Darstellungsformen", Magdeburg

SCHELSKE, ANDREAS (1997): Die kulturelle Bedeutung von Bildern, Soziologische und semiotische Überlegungen zur visuellen Kommunikation, Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag

 



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