Vertrauen in
Socialware für multimediale Systeme Was leistet Vertrauen für
die Informationstechnologie?
In: Herczeg, M; Prinz, W.; Oberquelle, H. (Hrsg.): Mensch und Computer
2002 - Vom interaktiven Werkzeug zu kooperativen Arbeits- und Lernwelten,
Berichte des German Chapter of the ACM, Band 56. Hamburg, Germany, September
25, 2002, S. 333-342
Dieser
Text im Datenformat PDF
Zusammenfassung
Das Thema „Vertrauen in Socialware“ greift Orientierungsdefizite
des sozialen Handelns auf, welches sich nicht auf die Glaubwürdigkeit
der Medien, sondern auf interaktive Medien als einen Ort realer gesellschaftlicher
Komplexität bezieht. Einerseits wirkt sich die Information Richness
eines Mediums auf interpersonales Vertrauen aus, andererseits aggregieren
soziale Gruppen bzw. strukturale Rollen sich auf Vertrauensstufen, die
selbst bei niedriger Informationsmenge tragfähige Entscheidungsgrundlagen
anbieten, um individuelle Handlungsrisiken zu kompensieren. Ohne Vertrauen
wären multimediale Systeme zwar unterhaltsam sowie konsumierbar,
böten aber selten Möglichkeiten, Nutzen bei kalkuliertem Risiko
handlungsrelevant werden zu lassen.
1. Ausgangspunkt
Wer Vertrauen vermisst, findet es nicht mittels Suchmaschinen im Internet.
Individuen können ihr eigenes Vertrauen nicht passiv erleben, sondern
es nur im aktiven Handeln schenken oder erweisen. Sie müssen im Falle
ihres Vertrauens bereit sein, das Risiko einzugehen, soziale als auch
technische Ausgangsbedingungen und Konsequenzen ihres multimedialen Handelns
unvollständig zu überblicken. Könnten sie ihre Informations-
und Orientierungsdefizite nicht mittels Vertrauen überwinden, indem
sie beispielsweise einer sozialen Organisation vertrauen, wäre der
Computer als auch das Internet selten ein Ort, an dem Individuen aktiv
handeln und Entscheidungen treffen. Diejenigen, die stoisch misstrauen,
handeln nicht. Sie beschaffen Informationen. Setzen sie ihr Vertrauen
indessen in eine multimedial vermittelte Sozialinfrastruktur, ermöglichen
sie es sich, eine handlungsrelevante „Socialware“ (vgl. Funakoshi.
K. et. al. 2001) zu konstituieren. Wie Vertrauen die Socialware der Informationstechnologie
fundiert, zeigen folgende Überlegungen.
Ein erster Ausgangspunkt besteht darin, dass unsere Wissensmengen, unsere
Archive und unsere sozialen sowie kulturellen Gedächtnisse infolge
multimedialer Systeme quantitativ gewachsen sind. Explizites Wissen ist
unüberblickbar komplex geworden. Infolge dieser Entwicklung können
wir uns als Einzelner nicht mehr überzeugen, ob eine Nachricht der
Wahrheit entspricht, ob sie glaubwürdig ist, ob sie einer Logik folgt
oder eine Notwendigkeit infolge eines kausalen Geschehens ist. Nicht nur
die Komplexität des Wissens hat zugenommen, zudem ist es gleichfalls
kontingent, d.h. unser Wissen selbst ist auch anders möglich. Diese
Kontingenz des Wissens zieht es nach sich, dass zwischen wahrem/unwahrem,
tatsächlichem/fiktionalem, logischem/unlogischem und funktionalem/dysfunktionalem
Wissen kontextabhängig zu unterscheiden ist.
Anwender müssen der Funktionalität einer Software beispielsweise
in dem Vertrauen begegnen, dass eine installierte Anwendung so reagiert,
wie der Hersteller es verspricht. Sie können also einerseits dem
Unternehmen vertrauen und darauf hoffen, dass diese „soziale“
Organisation alle Garantieversprechen einhält. Andererseits könnten
sie dem Unternehmen misstrauen und darauf vertrauen – wenn sie nicht
glauben, der Computer selbst würde alle Schwierigkeiten umgehen –
dass ihre soziale Gruppe von informierten Anwendern mögliche Softwareprobleme
lösen wird. Vertrauen in Socialware übernimmt hier die Handlungsstrategie,
Mißtrauen gegenüber Software oder Unternehmen zu überwinden
– Bedienungsanleitungen sowie Garantieerklärungen sichern dann
den Fall enttäuschten Vertrauens ab.
Auch in den Wissenschaften, dem Ort wo Wahrheit implizit mit jeder Studie
zumindest als Bemühung symbolisch behauptet wird, erkennt der Eingeweihte
nahezu nie logische Kohärenz. Infolge ihrer Kontingenz findet der
Knowledge Worker im Internet mit genügend Wissen zweiter Ordnung
- d.h. mit dem Wissen, wie man Wissen nutzt - für ein spezifisches
Thema leicht zwei sich widersprechende Studien. Ebenfalls sind Konsummärkte
so strukturiert, dass gleiche Verbrauchsgüter in unterschiedlichsten
Berichten voneinander divergierende Ergebnisse erhalten. Und in der Politik
sieht es aufgrund ihres Selbstverständnisses nicht anders aus, weil
sie sich selten an Wahrheiten, Notwendigkeiten oder Tatsachen orientiert,
sondern an mehrheitsfähigen Interessen der Wähler.
Was der informationellen Komplexität und Kontingenz der erwähnten
Software, der Politik, des Wissens und den Konsumgüter gemeinsam
ist, ist ihre Unübersichtlichkeit und Uneindeutigkeit. Alle vier
Bereiche benötigen eine Handlungskompetenz, die ihre kommunikativen
Zeichen strukturiert und nach ihrem Orientierungswert beurteilt. Und genau
diese kompensatorische Handlungskompetenz wird in Anbetracht der Kommunikation
im Internet sowie Usenet deutlich. Sie heißt „Vertrauen“
und meint das soziale Vertrauen darauf, dass ein Mitteilender zuverlässig
und objektiv ist, über eine selbsterfahrene Tatsache spricht, sich
in seinem Spezialgebiet auskennt oder eben einfach die aktual praktikabelste
Orientierung gibt. Die These lautet daher: Akteure reduzieren die informationelle
Komplexität und Kontingenz der multimedialen Systeme durch Vertrauen.
Vertrauen ist nicht nur eine Orientierungsweise im Alltag, sondern eine
notwendige Socialware, die multimediale Systeme als einen virtuellen Handlungsraum
absichert. Ohne dieses Vertrauen als Socialware ließe sich allenfalls
der Unterhaltungswert der Computertechnologie erleben, aber keine handlungspraktische
Relevanz für beispielsweise das Berufsleben aufzeigen.
2. Wozu Vertrauen?
Wie entstehen multimedial vermittelte Situationen des Vertrauens? Vertrauen
variiert zwar mit den Handlungsbezügen, in denen es erbracht wird,
aber in seinen Charakteristika bleibt es homogen. Eine Situation, wäre
beispielsweise folgende: Eine Person möchte sich ein Auto kaufen.
Sie erwartet, dass sie die informativsten und vertrauenswürdigsten
Verbraucherberichte in Autonewsgroups findet. Von Newsgroups im Usenet
nimmt sie an, dass dort keine Informanten schreiben, die ein kommerzielles
Marketinginteressen vertreten, sondern so aufrichtig wie möglich
über ihr Auto berichten. Die Person kauft schließlich ein spezifisches
Auto, weil sie mehreren Mails vertraut, die die Haltbarkeit des Fahrzeugs
loben. Insofern ist der Autokäufer ein vorangegangenes soziales Engagement
eingegangen: Er hat infolge der Verbraucherberichte das Auto gekauft und
vertraut darauf, dass sich die positiven Praxisberichte als zutreffend
erweisen. Er erwartet also, dass die alltagserfahrenen Fahrer besser die
Informationen über das Auto einschätzen können als er selbst.
Erst ab dem Zeitpunkt, ab dem er der Empfehlung folgt, fällt er seine
Entscheidung im Vertrauen darauf, dass alltagserfahrene Fahrer besser
die Informationen über das Auto einschätzen können als
er selbst. Auf diese Weise reduziert Vertrauen die Komplexität der
potentiell möglichen und entscheidungsrelevanten Informationen. Zudem
verdeutlichen Newsgroups, wie Vertrauen als Socialware hinsichtlich der
kooperativen Filterung von Informationen fungiert.
a. Vertrauen erbringt Orientierung
Vertrauen erbringt mehre Vorteile im Handeln. Zunächst ist
die individuelle Orientierung zu nennen. Wer vertraut, der erwartet, dass
andere das wissen, was er selbst nicht weiß. Er reduziert unsichere
und mehrdeutige Informationen, indem er einer sozialen Gruppe oder Institution
vertraut. Auf diese Weise erlangt er trotz seiner Unsicherheiten ad hoc
Orientierung in der multimedialen Wissensgesellschaft. In diesem Vertrauen
überspringen Individuen ihr eigenes Informationsdefizit, um trotzdem
zu handeln und zu entscheiden. Vertrauen ist demnach eine sozial orientierte
Strategie, angenommenen oder tatsächlichen Informationsmangel zu
kompensieren.
b. Vertrauen beschleunigt Orientierung
Wer einer Information misstraut, bemüht sich, sein Informationsdefizit
auszugleichen. Er verliert Zeit, sobald er eigene und damit möglicherweise
eindeutige Informationen erhalten möchte, um nicht vertrauen zu müssen.
Erbrachtes Vertrauen versucht, einen Zeitverlust zu minimieren. So umgehen
Individuen mittels Vertrauen einerseits ihr angenommenes Informationsdefizit,
und wirken andererseits dem potentiellen Zeitverlust bei ihrer Entscheidungsfindung
entgegen. In einer Terminologie der Geschwindigkeiten beschrieben, lässt
sich annehmen, dass Vertrauen praktisches Handeln von Individuen beschleunigt,
indessen Mißtrauen sowie Unvertrauen es verlangsamt. Vertrauen beschleunigt
somit individuelle Handlungsorientierung.
c. Vertrauen macht Zukunft sicher
Der dritte Aspekt des Vertrauens zeigt sich darin, dass jemand,
der vertraut, Zukunft vorweg nimmt. „Er handelt so, also ob er der
Zukunft sicher wäre.“ (Luhmann 2000, 9) Individuen erzielen
diese Handlungssicherheit, indem sie davon ausgehen, das jemand anderes
dafür sorgt, dass das Handlungsziel so eintreten wird, wie sie es
selbst erwarten. Diese infolge des Vertrauens angenommene Handlungssicherheit
verdeutlicht den vierten Aspekt.
d. Handeln im riskierten Vertrauen
Jemanden zu vertrauen impliziert notwendig, das Risiko auf sich
zu nehmen, die Zukunft unzutreffend erwartet zu haben. Beispielsweise
tritt das erwartete Handlungsziel nicht ein, weil ein mit Vertrauen bedachtes
Mitglied einer Internet Community unzureichend informiert war. Vertrauensverlust
oder gar Mißtrauen gegenüber diesem virtuellen Mitglied tritt
dann vermutlich zügig ein und ist nur durch besondere Zusatzleistungen
auszugleichen, um die aufgezeigten Vorzüge des Vertrauens als Socialware
zu nutzen. Vertrauen ist grundsätzlich an das Risiko gebunden, falsch
zu handeln bzw. eine unrichtige Entscheidung zu treffen.
Beispielsweise läßt sich im Ecommerce eine Kundenzufriedenheit
und Kundenbindung kaum erzielen, sobald Kompetenz und Zuverlässigkeit
des Anbieters in Frage steht. Abbildung 1 veranschaulicht schematisch,
wie bei als unsicher geltenden Geschäften im Internet ein hohes Vertrauen
mit dem Risikokalkül des zu erwartenden Nutzens verbunden sein kann.
Sofern ökonomisches Handeln erforderlich ist, bezieht sich Vertrauen
auf die Relation von Nutzen und Risiko
.
e. Vertrauen impliziert Handeln
Der Aspekt des Risikos verdeutlicht, dass Vertrauen an Handeln
gebunden ist. Ein Konsument erlebt beispielsweise den Sinn eines Artikels,
einer Fernsehsendung oder einer Website, trotzdem ist es für ihn
unnötig, den Beiträgen zu vertrauen. Vertrauen unter dem notwendig
implizierten Risiko muss jemand erst fassen, wenn er eine handlungsrelevante
Entscheidung trifft. Er benötigt beispielsweise eine verlässliche
Information für ein technisches, soziales oder psychisches Problem,
welches er durch sein eigenes Handeln bearbeitet. Erst in diesem risikobereiten
Handeln zeigt sich der Akteur als ein vertrauender.
Abbildung 1: Nutzen versus Risiko (nach:
Frank Reese)
Jeder Akteur im Internet vertraut erst dann einem sozialen Kontakt, wenn
er sein Handeln auf diesen bezieht. Ohne diesen spezifischen sozialen
Handlungsbezug gehen Akteure weder Vertrauensbeziehungen noch Risiken
ein. Ausschließlicher Konsum von Push Medien erlebt man risikolos,
solange kein Handeln erfolgt. Um Medien zu erleben, ist soziales Handeln
unnötig.
Vertrauen ist in multimedialen Systemen keineswegs „blindes Vertrauen“,
sondern stets ein riskiertes. Akteure bemühen sich mit dem Einsatz
des Vertrauens, innerhalb der multimediale Systeme eine soziale Ordnung
zu stabilisieren und zu sichern (vgl. Misztal 1996, 11). Auf diese Weise
kompensieren sie den alltäglichen Informationsreichtum, den sie bei
körperlicher Kopräsenz der Interaktionspartner kennengelernt
haben. Denn die Face-To-Face Kommunikation bietet wesentlich mehr informative
Anzeichen als die Kommunikation per E-Mail, dass jemand z.B. zuverlässig
ist. Je nachdem, welche qualitativen und quantitativen Informationen gegenüber
dem „Gegenstand“ des Vertrauens zu erreichen sind, bilden
sich spezifische Strukturen und Zeichen des Vertrauens aus. Wie sich diese
Ausprägungsformen hinsichtlich multimedialer Systeme entwickelt haben,
möchte ich zunächst darlegen. Im Anschluss daran möchte
ich darlegen, warum bidirektionale Kommunikationsmedien Vertrauen benötigen,
indessen unidirektionale Kommunikationsmedien mit der wesentlich risikoärmeren
Einschätzung der Glaubwürdigkeit auskommen.
3. Vertrauen in multimedialen und interaktiven Systemen
Die meisten Sicherheitstechniken, die die Computerindustrie entwickelt,
prägt Misstrauen gegenüber der Technik oder der (Welt-)Gesellschaft.
Selbst das Internet war ursprünglich eine Erfindung des Misstrauens
gegenüber zentraler Steuerungsgewalt und Kontrolle (vgl. Bechter
2001, 128). Das amerikanische Militär wollte eine technische Infrastruktur,
deren Vernichtungssicherheit in der Vermeidung einer leicht verwundbaren
Hierarchie lag. Kommunikation sollte in alle Richtungen auch dann noch
möglich sein, wenn einzelne Knotenpunkte ausfielen. Bereits in diesem
Merkmal der in sich vernetzten Infrastruktur unterscheidet sich das Internet
von den klassischen unidirektionalen Medien wie z.B. Fernsehen, Radio
und Zeitungen. Das Internet erlangte das Vertrauen des Militärs,
weil es infolge seiner Struktur ein Befehlsmonopol verunmöglichte.
In gleicher Struktur genießt das Internet bei privaten Anwendern
heutzutage Vertrauen: es verhindert sowohl hierarchische Wahrheits- als
auch Meinungsmonopole durch eine zumindest egalitär geplante Struktur.
Die Industrie sowie die Gesetzgebung mißtraut indessen der herrschaftsimmunen
Internetstruktur, indem sie ihr Informationsdefizit hinsichtlich der Sozialstrukturen
mit illegaler Handlungen anmeldet, wie z.B. Raubkopien, Kinderpornographie,
politische Ansichten.
Unidirektional hierarchische Medien sind nicht nur sehr verletzlich, sondern
sie ermöglichen zudem keine interaktive Kommunikation. In multimedialen
Systemen liegt eine soziale Interaktion im soziologischen Sinne dann vor,
wenn mindestens zwei Individuen zueinander in wechselseitige Beziehung
treten können und im Rollentausch Mitteilender als auch Adressat
sein können (vgl. Maletzke 1998, 43). Klassische unidirektionale
Medien bieten diese Form der Interaktion nur bedingt, weshalb sie Vertrauen
selten beanspruchen. Bidirektionale Medien setzen indessen häufiger
(interpersonales) Vertrauen voraus, weil sie dem Nutzer ein interaktives,
als auch soziales Handeln ermöglichen und abverlangen.
3.1. Information Richness und interpersonales Vertrauen
Alltäglicherweise entsteht das interpersonale Vertrauen
in der lebensweltlichen Kommunikationssituation des Face-To-Face. In dieser
Situation bezieht es sich sowohl auf ein kopräsentes Gegenüber
als auch auf soziale Identität (vgl. Sztompka 1999, 41). Interaktive
Systeme bieten eine veränderte, medial vermittelte „Lebenswelt“.
Sie übermittelt vom „kopräsenten“ Gegenüber
eine reduzierte Informationsmenge, um synchrone Kommunikation, soziale
Identität und damit Vertrauen zu ermöglichen. E-Mail, Video
Conferencing, Voice Over IP, Voicemail, Chats, Newsgroups sowie Websites
vermitteln Kommunikation auf der Basis des interpersonalen Vertrauens,
obgleich sie die direkte Kopräsenz der Kommunikationspartner ersetzen
und den damit verbunden Informationsreichtum simulieren bzw. stark mindern.
Wie sich Vertrauen trotz dieser verhältnismäßig niedrigen
Informationsmenge aufbauen kann, zeigen folgende Überlegungen.
Vertrauen gehört zwar zu den Strategien, im Zustand unsicherer oder
mehrdeutigerer Information zu handeln, trotzdem bleibt es selbst auf Ausgangsinformationen
angewiesen. Zu vermuten wäre, dass interpersonales Vertrauen in Abhängigkeit
der verfügbaren Informationsmenge eines interaktiven Medium ausgebildet
wird. In diesem Zusammenhang der Informationsmenge gibt die Definition
der „Information Richness“ eine Orientierung:
“Information richness is defined as the ability of information to
change understanding within a time interval. Communication transactions
that can overcome different frames of reference or clarify ambiguous issues
to change understanding in a timely manner are considered rich. Communications
that require a long time to enable understanding or that cannot overcome
different perspectives are lower in richness. /…/ Communication
media vary in the capacity to process rich information. /…/ In order
of decreasing richness, the media classifications are (1) face-to-face,
(2) telephone, (3) personal documents such as letters or memos, (4) impersonal
written documents, and (5) numeric documents. /.../ Media of low richness
process fewer cues and restrict feedback, and are less appropriate for
resolving equivocal issues. However, an important point is that media
of low richness are effective for processing well understood messages
and standard data.” (Daft & Lengel 1986, 560)
Neben dem Verstehen eine Mitteilung beeinflusst „Information Richness“
die interpersonale Vertrauensbildung. Greenspann et. al. zeigten in ihrer
Studie über Interpersonal Trust, dass synchrone Kommunikation per
Telefon deutlich zügiger Vertrauensbildungen unterstützt als
asynchrone Kommunikation per Email. Des weiteren katalysierten die Medien,
die die menschliche Stimme übertrugen, deutlich zügiger interpersonales
Vertrauen, als diejenigen Medien, die ausschließlich visuell basierte
Informationen anboten (vgl. Greenspann 2000, 251).
Information Richness eines Mediums hat auf interpersonales Vertrauen unterschiedliche
Auswirkungen. Vermutlich beschleunigt Information Richness interpersonales
Vertrauen zwischen zwei unbekannten Personen. Denn je mehrdeutiger oder
schwieriger eine mitzuteilende Nachricht ist, desto dringlicher wird Vertrauen
benötigt, um die Komplexität der Kommunikation mittels eines
informationsreichen Mediums zu reduzieren und handlungsbereit zu werden.
Vor dem Hintergrund dieser Hypothese ließe sich erklären, dass
Manager eine informationsreiche Kommunikationssituation (Face-To-Face)
vorziehen, um komplexe Nachrichten mitzuteilen und Unsicherheiten zu mindern
(vgl. Daft & Lengel 1986, 560). Ein Hinweis für die beschleunigte
Vertrauensbildung ist es sicher auch, dass innerhalb informationsreicher,
synchroner Medien permanent kontrollierbar ist, dass die Fortsetzung des
Vertrauens gerechtfertig ist. Asynchrone Medien erhöhen indessen
das Risiko, dass vertrauensweckende Zeichen einfacher manipulierbar sind,
um Vertrauen zu missbrauchen. Die Information Richness des Mediums sagt
daher etwas darüber aus, wie hoch das temporale Schwierigkeitsniveau
für Individuen ist, um vertrauenserweckende Zeichen zu simulieren
oder zu manipulieren. Information Richness kann keinen Anhaltspunkt dafür
geben, welche kommunikativen Zeichen vorhanden sein müssen, weil
sie nicht den sozialen Handlungsbezug aufgreift, den die sich vertrauenden
Interaktionspartner eingehen.
Obwohl die potentiell mögliche Temporalität des Mediums interpersonale
Vertrauensbildung beeinflusst, ist es hinsichtlich der Kommunikation im
Internet maßgeblich, auf vertrauensweckende Zeichen der sozialen
Interaktionsbeziehung zu schauen. Die auf interpersonales Vertrauen aufbauende
Kommunikation vollzieht sich in multimedialen Kommunikationstechniken
vorrangig per Email, Voicemail oder rein privaten Homepages. Zu den Anhaltspunkten
für die Vertrauenswürdigkeit einer Email oder Homepage gilt
beispielsweise die Beherrschung der Technik. Diese Technikbeherrschung
wird um so wichtiger, je deutlicher handlungsrelevantes Vertrauen hinsichtlich
einer technischen Information erwiesen werden soll. Handelt es sich um
eine politische oder vielleicht literarische Information, dann minimiert
Technikbeherrschung selten das Vertrauen. Eher im Gegenteil erwecken politische
Anliegen einer NGO im World Wide Web eher Mißtrauen, je professioneller
sie ihr Marketing betreiben. Demgegenüber erzielt die professionelle
Websitegestaltung der Markenartikelhersteller eher gestärktes Kundenvertrauen,
weil in diesem Fall der Kauf des Markenimage und weniger der Nutzen der
Ware angestrebt wird. In der Regel bemüht sich Webdesign, das Vertrauen
der Akteure zu erlangen, indem es Vertrautheit oder Vertrauenswürdigkeit
mittels eines sozial indizierenden Zeichen- und Stilmilieus mitteilt (vgl.
Karvonen & Parkkinen 2001; Cheskin Research 1999).
In multimedialen Systemen, so hoch ihre Information Richness auch sei,
sind es die sozial indizierenden Zeichen, die auf die Vertrauensbereitschaft
eine Auswirkung haben. Insbesondere Fehler oder eine gewisse Unbeholfenheiten
können beispielsweise innerhalb eines Kontextes der politischen oder
privaten Kommunikation ein Vertrauen motivieren, das auf die inhaltliche
Kompetenz des Mitteilenden zielt. Information Richness selbst befördert
interpersonales Vertrauen, wenn sie die Möglichkeit des Kommunikationsfehlers
erhöht. Man kann dies auf die folgende Formel bringen: Je höher
die Fehlerwahrscheinlichkeit interpersonaler Kommunikation innerhalb eine
stilistischen Kontextes ist, desto zügiger entwickelt sich Vertrauen.
Beispielsweise kann ein Akteur sich in seiner Email mit „Prof. Dr.“
titulieren, wird dann aber selten Vertrauen erlangen, sobald er in der
Hacker-Szene einen Diskussionsbeitrag leistet, weil man sich dort lieber
„pipsmaus“ oder „jaguarxj“ nennt. Es ist hier
einerseits der weitgehend emotionale Beziehungsaspekt und andererseits
der Inhaltsaspekt der Kommunikation mit dem sich Vertrauen emotional oder
rational ausbildet. Rational ist es sicher nicht, sich pipsmaus zu nennen,
aber emotional kann ein solcher Name im richtigen Kontext ad hoc einen
hohen Vertrauenswert genießen. Spontan, emotional orientiertes Vertrauen
kürzt den Ermittlungsprozess ab, setzt aber andererseits meist eine
Interessenidentität mit der informationsgebenden Person, der jemand
vertraut, voraus.
Für das Vertrauen zwischen zwei Personen bieten zeichenhafte Implikationen
eine grundlegende Basis. Information Richness beschreibt dann die mediale
Bandbreite, auf der die Zeichen sowie Kontexte jeweiliger Kommunikation
übertragen werden. Zu solchen vertrauenserweckenden Zeichen gehört
z.B. Sprachstil, Werthaltung, Kontext und der Inhalt der Information selbst
etc. Schon der kontextsensible Einsatz von wenigen Symbolen oder Indizes
bietet die Sicherheit bzw. Unsicherheit, die kommunikativen Auswirkung
der informationsreichen Medien auszuhebeln.
Für die Bereitschaft zu interpersonalem Vertrauen in multimedialen
Systeme sind folgende Kriterien von besonderer Relevanz:
- Stilistische Kontextsicherheit und Involvement des
Mitteilenden
- Kommunikative Performanz des Mitteilenden
- Kommunikative Kompetenz des Adressaten
- Einhaltung des kommunikativen Beziehungs- und Inhaltsaspekts
der beteiligten Personen
- Indizierende Rückkopplung, dass das Vertrauen
weiterhin gerechtfertigt ist.
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Vertrauen
lässt sich bei höherer Medienvielfalt und Information Richness
schneller erzielen, da die Wahrscheinlichkeit der unentdeckten Täuschung
und Lüge infolge der übermittelten Informationskomplexität
abnimmt. Wie erklärt sich unter dieser Annahme, dass sich das Vertrauen
in den Newsgroups bei niedrigem Informationsmenge auf verhältnismäßig
hohem Niveau befindet?
3.2. Soziales Vertrauen in Socialware
Soziales Vertrauen nimmt Bezug auf eine Pluralität von Personen,
die sich miteinander verbunden meinen oder fühlen (vgl. Sztompka
1999, 43). Beispielsweise vertrauen sich die Teilnehmer einer Mailingliste
hinsichtlich sensibler Informationen, die sie austauschen und nicht weitergegeben
werden wollen. Oder die Teilnehmer einer Mailingliste vertrauen sich darin,
ein Problem einer Open Source Software in Teamarbeit zu lösen. Beide
Beispiele rekurrieren darauf, dass sich eine Community gebildet hat, deren
soziale Infrastruktur auf wechselseitigem Vertrauen beruht. Mit anderen
Worten bieten die Community eine Socialware, die darauf basiert:
- zu wissen, wer etwas weiß
- sich in identischen Kontexten auszukennen
- sich mit der laufenden Diskussion zu identifiziert
- ihre Problemlösungskapazitäten abschätzen
zu können (vgl. Hattori et. al. 1998, 330)
Innerhalb der Socialware verliert Information Richness
vollständig ihre Wirkung, da sozial motivierte Beziehungen den Kommunikationsablauf
stabil halten. Das Vertrauen innerhalb der Gruppe richtet sich beispielsweise
darauf, ob weiterhin Wissen getauscht wird, die Moral der Netikette beachtet
wird, ob Problemlösungskapazitäten bestehen oder ob die in der
Kommunikation erworbene Reputation hoch genug ist, um weiter teilzunehmen.
Für alle Formen des sozialen Vertrauens gilt, dass multimediale Systeme
es selbst nur gering beeinflussen können, weil es auf den Sinnzusammenhang
sozialer Handlungen ausgerichtet ist.
3.3. Warum ersetzt Vertrauen die Glaubwürdigkeit in der heutigen
Kommunikationstechnologie?
Die globale Medienlandschaft hat sich mit den interaktiven Kommunikationsmedien
grundlegend verändert. Interaktive Medien lassen sich im Gegensatz
zu klassischen Push Medien - wie z.B. das Fernsehen - nicht nur passiv
konsumieren, sondern sie sind der Ort an dem Individuen aktiv handeln.
Diese Entwicklung haben Kommunikationswissenschaftler übersehen.
Sie untersuchen bis heute Glaubwürdigkeit der interaktiven Medien
auf eine Weise, wie seit Jahrzehnten klassische, unidirektionale Medien
evaluiert wurden. Glaubwürdigkeitsforschung spielt für die klassischen,
unidirektionalen Medien eine Rolle, sie kann aber den multimedialen Orten
des interaktiven Handelns in keiner Weise Rechnung tragen. Wie begründet
sich dies?
Kommunikationswissenschaftler evaluierten in zahlreichen Studien die Glaubwürdigkeit
unidirektionaler Medien (vgl. Rössler 1999). Ihr Ausgangspunkt war
meist ähnlich. Glaubwürdigkeit sei kein vorfindbarer Zustand
des Kommunikators, sondern eine vom Rezipienten zugeschriebene oder attribuierte
Eigenschaft (vgl. Schweiger 1998). Mit dem Attribut „Glaubwürdigkeit“
schätzen Mediennutzer anhand sogenannter CARS-Kriterien ein, bis
zu welchen Graden sie die vom Kommunikator angebotenen Nachrichten als
sinnvoll erachten. Zu den vier CARS-Kriterien gehören:
- Glaubwürdigkeit „credibility“:
Bewertung des Autors hinsichtlich Bildung, Organisationszugehörigkeit
und berufliche Position
- Genauigkeit „accuracy“: Mitteilung des
Entstehungsdatums sowie der Versionshistorie der Quellen. Zielpublikum
und Zweck der Veröffentlichung
- Vernünftigkeit „reasonableness“:
Fairness in der Argumentation, eigene Voreingenommenheit prüfen,
Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit der Information
- Belege „support“ (vgl. Harris 1997)
Die Kriterien verdeutlichen, dass die Glaubwürdigkeit
eines Sendeformats eine risikolose Einschätzung ist. Medienkonsum
schließt keine unmittelbare Risikodisposition ein. Als Mediennutzer
konsumieren wir beispielsweise unglaubwürdige Medienbeiträge,
ohne dass wir uns in unserer Alltagspragmatik beeinträchtig fühlen.
Eventuell ist es mitunter informativer und interessanter, glaubwürdige
Medienbeiträge zu sehen. Doch die Einschätzung von Glaubwürdigkeit
hat per se keine notwendige Handlungsrelevanz. Aufgrund der mangelnden
Konsequenzen verunsichert es Rezipienten auch wenig, die Informationen
der Medien zu konsumieren, denen sie eine mittlere oder gar geringe Glaubwürdigkeit
zuschreiben. Eher im Gegenteil schützt die Einschätzung der
Glaubwürdigkeit den Rezipienten davor, sich verunsichern zu lassen.
Unterstellte Unglaubwürdigkeit schützt davor, weder den Beitrag
für relevant zu halten noch handeln zu müssen.
Vertrauen beansprucht eine qualitativ andere soziale Bezugnahme als Glaubwürdigkeit.
Glaubwürdigkeit drängt auf die Überzeugungskraft inhaltlichen
Sinns. Vertrauen zielt darauf, unter unüberblickbaren Risikobedingungen
individuelles Handeln zu ermöglichen. Vertrauende wägen also
ab, bis zu welchen Graden ihr Handeln sinnvoll ist. Wahrheit, Überprüfbarkeit
und Logik nehmen zuviel Zeit in Anspruch, um hinsichtlich des kontingenten
Wissens der Gesellschaft ihren Orientierungswert zu behalten. Zwar lassen
sich die Top 10 Kriterien der Informationsqualität benennen, aber
kein Akteur in multimedialen Systemen hat Zeit sie abzuarbeiten. Aufgrund
des Zeit- und Wissensmangels in Gesellschaften übernehmen deshalb
z.B. einzelne Internetanbote eine informationsfilternde Funktion, die
das Vertrauen der Akteure mit praktikablen Ratschlägen sowie Informationen
gewinnen. Solche Portale, Newsgroups und Websites fungieren quasi als
„Knowledge-Trust-Center“, indem sie relevante Information
von irrelevanten unterscheiden. Mittels dieser Filterfunktion geben sie
soziale Orientierung, welches die praktikabelste „Wahrheit“
sein könnte, um im Vertrauen auf den jeweiligen Vorschlag, eine Entscheidung
des Anwenders zu unterstützen. Eine vergleichbare mediale Funktion
wie das Internet konnten die klassischen Medien nur bedingt einnehmen.
Nicht mehr Wahrheit oder Glaubwürdigkeit einer Information orientiert
die Akteure, sondern das Vertrauen, dass sie ihrem Anbieter einer Handlungsorientierung
schenken. Auch in Newsgroups und Mailinglisten gelten Privatpersonen als
vertrauenswürdige Kompassnadeln im Konsumdschungel. Vertrauen in
Socialware gehört deshalb zu den grundlegenden Ressourcen, um in
multimedialen Systemen handlungsfähig bleiben zu können.
4. Perspektiven des Vertrauens in multimedialen und interaktiven Systemen
Bei Vertrauen handelt es sich nicht zuletzt um eine moralische Qualität
der sozialen Bezugnahme (vgl. Köhl 2001, 114). Glaubwürdigkeit
benannte lediglich eine Medienwirklichkeit, zu der die Konsumenten auf
Distanz gehen konnten. Die Zeitung, das Fernsehen und das Radio berichten
aus einer Welt, die selten im Alltag ihren konkreten Niederschlag fand.
Vertrauen verdeutlicht, dass Akteure in eine für sie wirkliche, medial
vermittelte „Lebenswelt“ einsteigen und dort ihre sozialen
Räume handlungsrelevant gestalten. Socialware benennt somit die Erweiterung
des alltäglichen Handelns unter der Prämisse multimedialer Räume.
Information Richness beschreibt dann nur noch die mögliche Komplexität
sozialen Handelns. Soll diese Medienorientierung unter dem Gesichtspunkt
einer Verantwortungsethik beschrieben werden, ist zu erwarten, dass in
der „E-Society“ eine moralische Wertverschiebung stattfindet,
bei der Glaubwürdigkeit und Wahrheit durch Vertrauen als Orientierungsparameter
ersetzt oder zumindest ergänzt wird. Socialware in multimedialen
Systemen markiert den Beginn eines sich drastisch verändernden, sozialen
Handels, das medialvermitteltes Vertrauen als Orientierungsweise nutzt.
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