Soziologie vernetzter Medien

Grundlagen computervermittelter Vergesellschaftung

Lehrbuch: Oldenbourg Verlag, München. ISBN: 3486273965

Schelske, Andreas __ ---------------------------------------__Home


Leseprobe: 1. Kapitel - Soziologie und Informatik
Eine Soziologie vernetzter Medien verbindet zwei Forschungsrichtungen: Soziologie und Medieninformatik. Die Soziologie erforscht, wie Individuen der Gesellschaft handeln und kommunizieren. Indessen die Medieninformatik vernetzte, interaktive Medien entwickelt, damit Individuen medienvermittelt kommunizieren und handeln können. Die Soziologie agiert überwiegend erklärend und analysierend, indessen verfährt die Medieninformatik vorwiegend gestaltend und konstruierend. Beide wissenschaftlichen Disziplinen verbindet die Soziologie vernetzter Medien, indem sie die Zusammenhänge und Wechselwirkungen der Informationstechnik einerseits und gesellschaftliche Strukturen sowie soziales Handeln andererseits analysiert. Sie umfasst die Folgen der Informationstechnik in den Gesellschaften und zeigt auf, wie die rasche Entwicklung der Informationstechnik auf soziale Prozesse wirkt. Dabei muss eine Soziologie vernetzter Medien berücksichtigen, welche sozialen Folgen sowohl die modernen Computernetze als auch die Anwendung der multimedialen, interaktiven Systeme mit sich bringen. Insofern bietet die Soziologie das Potenzial, sich mit konstruktiven Gesellschaftsanalysen an der Veränderung und Entwicklung der computerunterstützten Techniken zu beteiligen.

Die folgenden Grundlagen der informationstechnischen Vergesellschaftung in vernetzten, interaktiven Medien sollen:

• die Bedeutung der computerunterstützten Kommunikation für die Entwicklung von Gesellschaften darstellen

• Wechselwirkungen zwischen vernetzten, interaktiven Medien und gesellschaftlichem Strukturwandel verstehen helfen

• unterschiedliche Medien im Hinblick auf Kommunikationsstruktur und Funktion in ihren gesellschaftlichen Verwendungszusammenhängen unterscheidbar machen

• soziale Netzwerke, die sich auf Informations- und Kommunikationstechnik (IuK-Technik) stützen, als ein zentrales Charakteristikum der sozialen Kontexte im Informationszeitalter darstellen.

• verständlich machen, dass Individuen während computervermittelter Kommunikation reale Sozialbeziehungen eingehen und nicht etwa bloß „virtuell“ kommunizieren, also der „Möglichkeit nach“ bzw. „nicht wirklich“ miteinander kommunizieren, so wie es das Wort „virtuell“ oft unterstellt. Unabhängig vom Übertragungsmedium kommunizieren Menschen miteinander – sie kommunizieren nie virtuell miteinander.

• klassische Begriffe der Soziologie in die computerunterstützten Kommunikationsverhältnisse zwischen Menschen überführen.

Die genannten sechs Punkte verweisen implizit auf die Spannungsfelder, in denen Gesellschaft und vernetzte, interaktive Medien stehen. In der Alltagspraxis erfahren bereits viele Individuen derzeitiger Gesellschaften, dass Computersysteme und deren Vernetzung für vielfältige Aufgaben eingesetzt werden. Mitunter sind computerunterstützte Systeme bereits maßgeblich daran beteiligt, soziale Strukturen herzustellen. Forschungsbereiche wie beispielsweise CSCW (Computer-Supported Cooperative Work) bemühen sich um Techniken, die – wie der Name sagt – darauf angelegt sind, die Zusammenarbeit von Individuen mittels vernetzter Computersysteme zu unterstützen. Neben dem Einsatz in der Arbeitswelt übernehmen Computersysteme ebenfalls viele Funktionen in anderen Sozialstrukturen, wie beispielsweise Familie, Freizeit, Bildung, Politik und Religion. In der Alltagspraxis ermöglichen computerunterstützte Systeme neue Lebensstile, wie Menschen kommunizieren, arbeiten, sich unterhalten lassen, Auto fahren, sich verabreden, Freundes-, Liebes- oder Geschäftsbeziehung beginnen (s. Abb. 1.1), einkaufen, Geld investieren, spielen, Macht ausüben, Vertrauen schenken, ihr Leben und ihre Freizeit gestalten. In all diesen Kontexten beeinflussen und ermöglichen Computersysteme es, wie Individuen soziales Handeln aktualisieren. Computerunterstützte Systeme beeinflussen Sozialstrukturen selbstverständlich auch dann, wenn Individuen sie nicht bemerken – wie während des Autofahrens, Telefonierens oder Einkaufens beispielsweise.

Abb. 1.1 30 Millionen Mitglieder im sozialen Netzwerk der Freunde von www.friendster.com

Alle aufgezeigten Beispiele verdeutlichen, dass Computersysteme für die Gesellschaft und deren Entwicklung äußerst einflussreich sind und weiterhin sein werden. Bereits in den 60er Jahren bot Marshall McLuhan mit seinem Buch „The Gutenberg Galaxy“ eine erste Vision an (vgl. McLuhan, 1962). Es sah in den Kommunikationsmedien die maßgebliche Kraft für die gesellschaftliche Entwicklung. Zudem prognostizierte er die bis heute anhaltende Entwicklung, dass elektronische Massenmedien die räumlichen Barrieren in der weltweiten Kommunikation überwinden. McLuhan zufolge bewirken die elektronischen Massenmedien eine beschleunigte Kommunikation, die die Welt zu einem globalen Dorf (Global Village) zusammenschrumpfen lässt. Im globalen Dorf kommen den Individuen alle Ereignisse sehr nah und vertraut vor, so dass räumliche Entfernungen ihre Bedeutung verlieren. Mit seinen Analysen gehörte McLuhan zu den Ersten, die die Entwicklung der Gesellschaft direkt in Wechselbeziehung zu elektronisch vermittelter Kommunikation beschrieben. Zwar bezog er sich nicht explizit auf computervermittelte Kommunikation, aber er konnte darlegen, dass das Fernsehen, Radio, Telefon usw. einen enormen Einfluss auf alle Gesellschaften ausüben.
Multimediale, interaktive Systeme bezeichnen die Verbindung aus Unterhaltungselektronik, Telekommunikations- und Computersystemen. Ihre Computertechnik lässt die Integration vieler Medien zu – sie sind dementsprechend „multimedial“. Interaktiv sind sie, sobald sie die Interaktion mit einem Menschen oder untereinander ermöglichen. Multimediale, interaktive Systeme treten mit dem Benutzer durch mehrere sensorische Kanäle interaktiv in Wechselwirkungen. Wer erwartet, die analogen, alten Medien würden ihren Einfluss einbüßen, der täuscht sich. Die ehemaligen, analogen Medien kommen in den digitalen Medien weiterhin vor. Fernsehen, Radio, Telefon und selbst das Buch dienen weiterhin als Medien, die von den neuen, digitalen Medien wiederum aufgenommen werden. Für diese Integration der Medien in multimediale Systeme gibt es viele Beispiele. Das erdumspannende Internet verbreitet beispielsweise „Radio“-Beiträge aus allen Ländern der Welt (z.B. www.radio-locator.com). So genannte E-Books lassen sich bei Anbietern im Internet als Datei herunterladen und auf dem Computerbildschirm lesen. Der Inhalt eines Mediums ist immer ein anderes Medium, schrieb bereits McLuhan (vgl. McLuhan, 1964, S. 8). Die besondere Qualität der vernetzten, interaktiven Medien beruht auf ihrer Informationstechnik, die Individuen sowohl mittels Medien informieren als auch in soziale, interaktive und computervermittelte Netzwerkbeziehungen setzen. Beispielsweise sorgen Internet-Applikationen dafür, dass Individuen nach selbst gewählten Kriterien einander vorgestellt werden, um eventuell eine Freundschaft, Liebe oder eine Geschäftsbeziehung zu beginnen.

Die sozialen Entwicklungen infolge der Informationstechnik sind aus soziologischer Perspektive nur schwer in einem Begriff zu fassen. Die Begriffe der Informations- und Medien-gesellschaft reichen beispielsweise nicht aus, um die Vernetzung der Weltgesellschaft zu beschreiben. Doch die Soziologie sowie auch die Medieninformatik reagieren bereits mit Formulierungen darauf, dass sich Individuen und auch Dinge untereinander mittels multimedialer, interaktiver Systeme vernetzen. Der Soziologe Manuel Castells charakterisiert heutige Gesellschaftsformen beispielsweise nicht mehr mit dem Medien- und Informationsbegriff. Er beschreibt Gesellschaft infolge der Informationstechnik als Netzwerkgesellschaft (vgl. Castells, 2003, S. 22). Castells betont damit die Vernetzungslogik der informationellen Gesellschaft als ihr wesentliches Schlüsselmerkmal. Der soziale Raum und dessen informationelle Inhalte müssen für die Netzwerkgesellschaft jeweils neu durch Beobachtung und Analyse aktualisiert werden.
Die Vernetzung von Gesellschaft und multimedialen, interaktiven Systemen verursacht vielschichtige Wechselwirkungen. Deshalb möchte ich als Einführung in die Soziologie vernetzter Medien ein stereoskopisches Bild entwerfen, das die sozialen Entwicklungen der Gesellschaft in Wechselwirkung mit den Informationstechniken der vernetzten, interaktiven Medien darstellt. Um das fokussierte Thema aus beiden Blickpunkten zu betrachten, sollen die zwei folgenden Fragen zunächst getrennt beantwortet werden:

1. Wie analysiert Soziologie die Medien der Vergesellschaftung?

2. Wie interessiert sich die Medieninformatik für die Gesellschaft?

Hinsichtlich der ersten Fragestellung nehme ich eine soziologische Perspektive ein. Diese wird die wissenschaftliche Disziplin der Soziologie darstellen und erläutern. Im Anschluss daran werde ich auf den sozialen Wandel im Zeitalter der computervermittelten Kommunikation eingehen. Die Perspektive der Medieninformatik nehme ich mit der zweiten Fragestellung ein, um zu erläutern, welches Selbstverständnis sie von ihrem Fachbereich entwickelt hat und in welcher fachlichen Hinsicht sie sich auf Gesellschaft bezieht. Im Anschluss an die Erläuterung der beiden Disziplinen expliziere ich die konvergierende Perspektive, die in die Soziologie vernetzter Medien mündet. Dort werde ich darlegen, worauf eine Soziologie vernetzter Medien reagiert und was sie leistet.

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  Nicht alles ist Soziologie. Mit einer gewissen Spitzfindigkeit ließe sich sogar sagen, dass Soziologie sich nicht für Menschen interessiert. Denn das soziologische Interesse am Menschen sind dessen Handlungen, dessen soziale Beziehungen und dessen Kommunikationen. Soziologie will nicht wissen, was der Mensch ist, sondern was eine Gesellschaft ist. Als Wissenschaft beginnt Soziologie dort, wo sie sich ihren Gegenstandsbereich definiert. Eine Definition der Soziologie von Hans Joas ist folgende: „Die Soziologie untersucht die Arten und Weisen, wie das menschliche Leben sozial organisiert wird“ (Joas, 2001, S. 11). Sie bemüht sich darum, die sozialen Beziehungen zwischen Menschen zu charakterisieren und zu verstehen. Um ihr Forschungsziel zu erreichen, setzt die Soziologie empirische Forschungsmethoden ein, z.B. wenn sie soziale Beziehungen mittels Befragungen und Beobachtungen untersuchen möchte. Insbesondere das Internet eröffnet der Online-Forschung neue empirische Befragungsmethoden (z.B.: www.online-forschung.de). Das zweite wissenschaftliche Fundament ist die soziologische Theorie, die sich beispielsweise darum bemüht, die sozialen Beziehungen, soziale Ungleichheit und soziale Mobilität in der Gesellschaft als Ganzes zu beschreiben. In vielen Fällen wird die soziologische Theorie in die allgemeine Soziologie eingereiht.

Zur soziologischen Theorie gehören aber auch die vielen speziellen Soziologien oder so genannten Bindestrichsoziologien, wie z.B. Mediensoziologie, Kommunikationssoziologie, Techniksoziologie, Wissenssoziologie usw. Die empirische und theoretische Methodik macht die Soziologie zu einer Wissenschaft, die hinsichtlich ihrer Forschungsgebiete ähnlich fein gefächert ist wie die Gesellschaft selbst. Im Erkenntnisinteresse der Soziologie steht immer die Gesellschaft, ganz gleich welcher soziale Bereich untersucht wird. Die grundlegende, soziologische Frage hinsichtlich der vernetzten, interaktiven Medien lautet: Wie ist Gesellschaft möglich, wenn ihre gesellschaftliche Ordnung durch vernetzte, interaktive Medien unterstützt wird?

Hinsichtlich der digitalen Medien verstärkt die Soziologie seit den 70er Jahren ihre wissenschaftlichen Anstrengungen. Und trotzdem hat sie bis heute Mühe, Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnik (IuK) in ihre Forschungsergebnisse einfließen zu lassen. Denn die Wechselbeziehung von Gesellschaft und Informationstechnik (IT) zieht einen beschleunigten Wandel nach sich, der den Bedarf an soziologischer Theorie und soziologischer Empirie drastisch verstärkt. Zudem ändert sich die Art und Weise menschlichen Lebens infolge innovativer Informationstechniken in zunehmend kürzer werden Zeitabständen. Was sich jedoch trotz der vielfältigsten Informationstechniken nicht verändert hat, ist die soziale Motivation des Menschen, auf welche Art und Weise auch immer mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Solange Menschen motiviert sind, wechselseitig mittels Medien sozialen Kontakt aufzunehmen, findet die Soziologie ihren Gegenstand „Vergesellschaftung“ im Zusammenhang mit Informationstechniken vor.
Eine der ersten Autorinnen, die aus soziologischer Perspektive über Informationstechnik berichtete, war Sherry Turkle. Sie und viele andere erlebten das Internet als ein Medium, das ihnen ganz unerwartet viele soziale Beziehungen einbrachte. Ihre Begeisterung ist noch heute in den Sätzen zu spüren, mit denen sie das Internet beschreibt. Sie macht glaubhaft: „Wir beginnen uns mit anderen Augen zu sehen, sobald wir unser Bild im Spiegel des Computers erblicken. […] Ein rasant expandierendes System von Netzen, die in ihrer Gesamtheit als Internet bezeichnet werden, verbindet Millionen von Menschen in neuen Räumen, die unsere Denkweise, den Charakter unserer Sexualität, die Form der Gemeinschaftsbildung, ja unsere Identität selbst verändern“ (Turkle, 1999, S. 9). Dieses „Leben im Netz“ war es, das Sherry Turkle faszinierte und das sie in ihrem gleichnamigen Buch beschrieb. Das Internet ist für sie ein fester Teil des Alltagslebens. Wie Turkle erledigen auch andere ihre elektronische Post, ihre Einkäufe und ihre Bankgeschäfte im Internet. Dort kommunizieren sie ebenfalls mit ihren Familien, Freunden und Bekanntschaften per E-Mail, Chat, SMS (Short Message Service) oder Internet-Telefonie. Mittels der vernetzten, interaktiven Medien organisieren sich Individuen, um sich in Gruppen, Communities, Vereinen, Verbänden, Newsgroups oder Mailinglisten usw. zusammenfinden.

Die oben beispielhaft aufgezeigten Medien ermöglichen soziale Beziehungen, die einer der Begründer der deutschen Soziologie, Georg Simmel (1858–1918), folgendermaßen formulierte: „[…] der Mensch sei in seinem ganzen Wesen und allen Äußerungen dadurch bestimmt, dass er in Wechselwirkung mit andern Menschen lebt“ (Simmel, 1908, S. 2). Sobald Individuen chatten, telefonieren, simsen (SMS schicken), treten sie in Wechselwirkung zueinander. Sie organisieren ihre sozialen Beziehungen mittels Kommunikationsmedien, wie Turkle oben dokumentierte. Soziale Wechselwirkungen mittels Kommunikationsmedien sind heutzutage alltäglich. Nahezu jeder telefoniert, sieht Fernsehen und hört Radio. Etwas weniger alltäglich ist das Internet für die Gesamtheit der deutschen Gesellschaft. Im Jahr 2006 nutzten 58,2 Prozent der deutschen Bevölkerung das Internet und 6,1 Prozent planten noch innerhalb des Jahres 2006 das Internet zu nutzen (vgl. Emnid (N)Onliner Atlas, 2006). In privaten Haushalten waren Individuen hauptsächlich daran interessiert, per E-Mail zu kommunizieren. Das Internet nutzten sie zu 75 Prozent für die Anwendung E-Mail. Für die Suche nach Informationen über Produkte und Dienstleistungen verwendeten immerhin noch 65 Prozent das Internet (vgl. Statistisches Bundesamt, 2004). Als Kommunikationsmedien nutzen also bisher keineswegs alle Bundesbürger das Internet, um mit anderen Individuen in einen sozialen Kontakt zu treten.

Doch ganz gleich ob Menschen mittels Computern, Fernseh- und Radioapparaten oder Tele-fonen kommunizieren – an dem Punkt der sozialen Organisation von Individuen mittels Medien existiert Gesellschaft. Denn Gesellschaft ist nach Simmel der Begriff, der die Gesamtheit der Wechselwirkungen zwischen mehreren Individuen benennt (vgl. Simmel, 1890, S. 5, 130f.). Gesellschaft existiert für Simmel überall dort, „wo mehrere Individuen in Wechselwirkung treten“ (Simmel, 1890, S. 4). Seine Ausgangsfrage ist: Wie ist Gesellschaft möglich? In unzulässiger Verkürzung lautet seine Antwort, dass soziale Wechselwirkungen das Netzwerk der Gesellschaft knüpfen (vgl. Simmel, 1890, S. 30). An diesen sozialen Kontakten zwischen Individuen sind heutzutage zunehmend vernetzte, interaktive Medien beteiligt.

Zweifellos führt Simmel mit dem Begriff der sozialen „Wechselwirkungen“ eine vereinfachte Erklärung ein, auf welcher notwendigen Bedingung eine Gesellschaft basiert. Implizit wies Simmel jedoch auf die Bedeutung der Medien für die Entwicklung einer Gesellschaft hin. Denn mittels Medien organisieren sich Individuen als Gesellschaft. Insbesondere in modernen Gesellschaften werden zunehmend mehr vernetzte, interaktive Medien von Individuen verwendet, um an der globalen Weltgesellschaft zu partizipieren. Die Soziologie sieht sich daher herausgefordert, zu untersuchen, wie vernetzte, interaktive Medien auf ihre Weise soziale Wechselwirkungen ermöglichen. Gewiss setzen Individuen seit langem Medien ein, um sich zu vergesellschaften. Neu ist, dass vernetzte, interaktive Medien für soziale Kontakte sorgen, die zusehends die Richtung einer Weltgesellschaft einschlagen oder auch begünstigen. Infolge des erdumspannenden Internets können die NGOs Attac (www.attac.org) und World Vision (www.wvi.org) sowie die Softwareinteressierten von www.linux.org und www.gnu.org große soziale Netzwerke organisieren, in denen Individuen sich zunehmend als vernetzte Weltgesellschaft verstehen. Eine Gesellschaft – so erdumspannend sie sich auch organisiert – verharrt nicht unverändert. Auch Simmel verstand Gesellschaft als unablässig im Wandel begriffen. Die Dynamik und der Wandel der Gesellschaft gehen ursächlich auf den Vergesellschaftungsprozess zurück, den Individuen vermöge ihrer Kommunikation und ihrem sozialen Handeln betreiben und verändern (vgl. Simmel, 1890, S. 5). Gesellschaft basiert auf immerwährender Vergesellschaftung. Sie existiert nicht als eine, die einmal aufgebaut für alle Zeiten Bestand hat. Sondern Gesellschaft basiert darauf, dass sie im Prozess der Vergesellschaftung immer wieder aufs Neue von Individuen reproduziert wird.

An dieser Reproduktion sozialer Beziehungen sind vielerlei Medien beteiligt. Medien übernehmen eine Vermittlerposition zwischen den Individuen und der Gesellschaft. Deshalb beeinflussen sie die Vergesellschaftung in ganz unterschiedlicher Weise. Beispielsweise verändern Medien das Handeln von Menschen gegenüber Gegenständen. So handeln Menschen in „Gemischten Realitäten“ (Mixed Realities) infolge von Informationen, die sie aus der realen Welt und der multimedialen Umgebung beziehen. Neben dem alltäglichen Handeln verändern Medien zudem das „soziale Handeln“ zwischen Menschen. So verändern sie die Weisen, wie Individuen aufwachsen und sich in die Gesellschaft einfinden – d.h., Medien verändern die Sozialisation der Individuen. Andererseits beeinflussen Medien soziale Strukturen in der Weise, wie z.B. Traditionen weitergeben werden, Arbeit verteilt und erledigt wird oder Unternehmen mit ihren Kunden kommunizieren. Alle aufgezeigten Beispiele verweisen auf die bedeutsame Rolle der Medien für den gesellschaftlichen Wandel in politischen, demografischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Kontexten. Wer keine Zeitung liest, nie Fernsehen sieht, das Internet meidet und nicht Radio hört, nimmt an vielen Bereichen der Gesellschaft nicht teil. Zugespitzt formuliert Steinmaurer den Einfluss der Medien dahingehend, „dass es immer unwahrscheinlicher wird, in der Gesellschaft, aber außerhalb der Medien zu leben“ (Steinmaurer, 2003, S. 108). Insbesondere die Begriffe der Medien- und Informationsgesellschaft verweisen darauf, dass wir uns mehr und mehr mittels Medien zu Gesellschaften bzw. zur Weltgesellschaft organisieren. Medien tragen also wesentlich zur Vergesellschaftung der Individuen bei.

Vom Standpunkt der Soziologie aus kann der gesellschaftliche Wandel nicht angemessen erklärt werden, wenn Medien und ihre gesellschaftshistorische Rolle außer Acht gelassen werden. „Denn die Herausbildung neuer und der Funktionswandel bereits etablierter Medien vollzog sich stets in zeitlicher Parallele zu größeren gesellschaftlichen Veränderungen“ (Behmer u.a., 2003, S. 7). Die Wechselbeziehung zwischen Gesellschaft und Informationstechnik ist innerhalb der Soziologie unstrittig. Doch die wissenschaftlichen Ansätze variieren stark, sobald die technischen und sozialen Einflussgrößen des gesellschaftlichen Wandels analysiert werden. Die technikdeterministischen Theorien der Soziologie gehen davon aus, dass die Technik den sozialen Wandel herbeiführt. Indessen soziotechnische Theorien der Soziologie annehmen, dass die sozialen und ökonomischen Einflussgrößen dominieren, wenn der gesellschaftliche Wandel in der Zusammenschau mit Informationstechnik erklärt werden soll. Technikdeterministische und soziotechnische Theorien konkurrieren um den stimmigsten Erklärungsansatz. Solche Diskussionen sind zweifelsohne das „Geschäft“ der Soziologie. Einig sind sich Soziologen darin, und Informatiker sehen es ebenso, dass „nicht alle technisch machbaren Anwendungen im Medienbereich in den Nutzungsalltag der Menschen ohne Probleme eingepasst werden können“ (Steinmauer, 2003, S. 112). Ebenso sind zahlreiche Faktoren der Gesellschaft für die Akzeptanz einer Computertechnik entscheidend. Beispielsweise prognostizierte Alvin Toffler in den siebziger Jahren, dass es nur einige Jahre dauern würde, bis die Hälfte aller Arbeitsplätze in der heimischen Wohnung eingerichtet wäre. Bis heute hat sich die Prognose nicht bewahrheitet. Hinsichtlich der Teleheimarbeit argumentiert Dostal, dass sich Erwerbsarbeit aufgrund organisatorischer und rechtlicher Rahmenbedingungen nur schwer in die Privatsphäre integrieren lässt (Dostal, 1995, S. 131).

Die allgemeine Soziologie betrachtet die Informationstechnik unter der Perspektive ihrer Stellung in der Gesellschaft. An Medien und Informationstechnik ist sie interessiert, weil Individuen mittels Medien kommunizieren und sich vergesellschaften. Anlass zur soziologischen Diskussion bietet selbstverständlich die Frage, wie die Medien die Gesellschaft verändern und wie die Mediennutzung der Individuen diese beeinflusst. Doch ganz gleich wie diese Frage zu entscheiden ist, wenn Informationstechniken in die Gesellschaft integriert sind, findet die Soziologie ihren Untersuchungsgegenstand in Form einer vorhandenen oder potenziellen sozialen Resonanz auf die Technik. Der Wechsel der wissenschaftlichen Perspektiven gehört dabei zu den Basisqualifikationen, mit denen Soziologie interdisziplinär auf die Verwendung von Computertechniken schaut. Dabei sind nicht nur die Medien im Speziellen relevant, sondern im Allgemein alle computerbasierten Systeme, die Individuen beabsichtigt oder unbeabsichtigt verwenden. Aus diesem Grund ist selten von einem einzigen wissenschaftlichen Standpunkt heraus abzuschätzen, welche Informationstechniken zu welchem Zeitpunkt für den gesellschaftlichen Wandel bedeutsam werden. Genauere Einschätzungen benötigen die Variation der soziologischen Perspektiven, wie sie in den weiter oben genannten speziellen Soziologien bestehen. Zu den für die multimedialen, interaktiven Systeme bedeutsamsten speziellen Soziologien gehören die Mediensoziologie, die Kommunikationssoziologie sowie die Techniksoziologie. Allgemeine Soziologien sowie universale Theorien dürfen selbstverständlich nicht wegfallen, wenn die Gesellschaft insgesamt dargestellt werden soll. Sobald alle sozialen Lebensbereiche beachtet werden, in denen Informationstechnik verwendet wird, gewinnen ebenfalls auch Wissens-, Gruppen-, Kunst- und Kulturso-ziologien an Erklärungskraft.

Die soziologischen Disziplinen antworten quasi auf meine Ausgangsfrage: „Wie analysiert Soziologie die Medien der Vergesellschaftung?“ Denn die allgemeinen und speziellen Soziologien fokussieren sich innerhalb ihrer Perspektive darauf, wie Informationstechnik soziale Wechselwirkungen verändert. In dem jeweiligen soziologischen Fokus steht dann beispielsweise die Frage, wie Informationstechnik auf Gruppen, Individuen, Kultur, Kommunikation, Ethik, Wissen, Information, Netzwerke, Kunst, Arbeit, Städte etc. wirkt. Soziologie als wissenschaftliches Programm nimmt sich vor, einerseits auf Veränderungen der Gesellschaft zu reagieren und andererseits diese Veränderungen aus unterschiedlichen Perspektiven darzustellen. Eine sensitive Soziologie spricht gegenüber dem gesellschaftlichen Wandel selbstverständlich nicht immergültige Wahrheiten aus, sondern bietet aktuelle Orientierung. Um diese Orientierung hinsichtlich des sozialen Wandels zu leisten, bieten sich die Technik- und Mediensoziologie als wissenschaftliche Leitidee für eine Soziologie vernetzter Medien an. Jene beiden speziellen Soziologien haben eine empirische und theoretische Basis, um unterschiedliche soziale Facetten multimedialer, interaktiver Systeme aufzuzeigen.

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  Techniksoziologie stellt sich die Aufgabe, den Zusammenhang von Gesellschaft und Technik zu beschreiben. Sie beobachtet, wie sich Gesellschaft durch den Einsatz der Technik verändert und welche Folgen eine Technik für die Gesellschaft hat (vgl. Degele, 2002, S. 7). Zur Technik zählen beispielsweise Autos, Kühlschränke, Kernkraftwerke, Flugzeuge usw. genauso wie SMS, Internet, Computerchips und alle anderen Formen der Informationstechnik. Im alltäglichen Sinne wird heutzutage all das als Technik bezeichnet, was die Kultur an Maschinen und Geräten, sowie deren Herstellungsverfahren und Verwendungsweisen hervorgebracht hat. Neben diesem alltäglichen Technikbegriff arbeiten Soziologen selbstredend auch mit detaillierteren Begriffen.

In soziologischer Theoriestrategie stellt Nina Degele einen dreigliedrigen Technikbegriff vor. Nach ihrer aktuellen Definition ist im Begriff der Technik der „Aspekt der Materialität, zweitens der Handlung und drittens des Wissens berücksichtigt“ (Degele, 2002, S. 19).

• Technik ist materiell: In erster Facette benennt Technik einen durch menschliche Einwirkung hergestellten Gegenstand, ein so genanntes Artefakt. Zu solchen materiellen Artefakten gehören Computerchips, Tastaturen, Bildschirme, Informationstechnik und alle anderen Gegenstände, die durch eine Kulturpraktik hervorgebracht wurden.

• Technik ist Handlung: In der zweiten Facette berührt der Begriff „Technik“ das alltägliche Handeln des Menschen in der Praxis. Solche „Formen des Handelns“ können z.B. Techniken sein, die als Tanz-, Schauspiel- oder Sprechtechniken entwickelt wurden.
Ebenfalls erfordert die Handhabung vernetzter, interaktiver Medien diverse „Formen des Handels“. Dazu gehören beispielsweise Techniken der Bedienung einer Benutzungsschnittestelle oder spezifische Programmiertechniken.

• Technik als Form des Wissens (Technologie): Drittens ist mit dem Technikbegriff ein spezifisches Wissen um die Formen der Technikverwendung gemeint. Im Sinne von Know-how ist mit Technik ein Wissen definiert, „das hinter der Entwicklung oder Nutzung von jeglichen Artefakten oder Handlungsweisen steckt“ (Degele, 2002, S. 20). Das Programmieren oder das Visualisieren eines Codes basiert beispielsweise auf dem Wissen, was Computersprachen, Computersysteme und menschliche Wahrnehmung leisten können. Seit dem 18. Jahrhundert wird in Europa das systematisierte Wissen um eine Technik als Technologie definiert. Der Begriff „Technologie“ ist allerdings wesentlich älter. Schon die Griechen sprachen mit Technologie (technología) die Lehre von der Technik und deren Anwendung an. Gegenwärtig unterscheiden manche Soziologen nicht mehr zwischen Technik und Technologie, weil Wissen selbst zu einer codierten Wissenstechnik wird und auch eine Technisierung der Wissenschaft und Wissensvermittlung eingetreten ist. Trotzdem verwenden weiterhin viele die Unterscheidung von Technik als Fertigkeit und Technologie als Lehre von der Technik. Mit der Telefontechnologie als „Lehre von der Telefontechnik“ lässt sich nicht telefonieren, indessen sich die Telefontechnik „als Fertigkeit“ für ein Telefongespräch nutzen lässt. Im Folgenden wird so weit wie möglich die moderne Technikdefinition verwendet – also auch die Lehre und Form des Wissens weitgehend als Technik angesprochen und seltener der Begriff der Technologie verwendet. Wenn von Technologie die Rede ist, dann ist immer ausschließlich die „Lehre von der Technik“ gemeint, die Theorie also. Technologie ist demnach ein kleinerer Teilbereich der Technik einer Gesellschaft.

Je bedeutender eine materielle Technik für eine Gesellschaft war, umso stärker verwiesen Soziologen auf mögliche Verluste in unserer Kultur. Georg Simmel sah beispielsweise die Tragödie der Kultur darin begründet, dass mit der arbeitsteiligen Massenproduktion die individuelle Kontrolle über die kulturelle Technik verloren geht (vgl. Simmel, 1983). Günter Anders verbindet in den 60er Jahren mit moderner Technik eine aufkommende Apokalypse, deren Symbol „Hiroshima“ noch heute darstellt (vgl. Anders, 1987). Und Theodor W. Adorno und Max Horkheimer bezichtigten die so genannte Kulturindustrie, dass diese mittels Massenmedien das Bewusstsein der Individuen fesselt und letztendlich um das Wahre „betrügt“ (vgl. Horkheimer & Adorno, 1997). Alle genannten Autoren definieren die materielle Technik der modernen Industriegesellschaft als tendenziell außersozial, menschen und gesellschaftsfeindlich. Ohne Frage folgte bisher aus jeder Technik auch ein Problem in der Gesellschaft und selbstverständlich sprechen kritische Soziologen viele der unerwünschten Technikfolgen an, weil es ihre wissenschaftliche Berufung ist und weil es ihre ethisch-politische Pflicht ist. Die kritische Soziologie verdient Beachtung.

Heutzutage relativiert die noch junge Disziplin Techniksoziologie ihre kritikfreudigen Wurzeln. Für sie gehört Technik zu den sozialen Tatsachen des Alltags. Denn inzwischen können Soziologen nicht mehr Soziales durch ausschließlich Soziales erklären, sondern sehen sich gezwungen, Technik als Medium zu beschreiben, in dem sich die Sozialität der Individuen erst ermöglich. Insbesondere die Informationstechnik kann selten noch als ein „außersozialer“ Tatbestand gesehen werden. Oft wirkt die Informationstechnik direkt auf soziales Handeln ein und ist auch derart intendiert, wie z.B. im Fall von kooperativen Arbeiten, Lernen und Spielen auf diversen Plattformen im Internet. Techniksoziologie reagiert darauf, wie sich soziale Beziehungen beispielsweise durch Instant Messaging (IM), Short Message Service (SMS), Multimedia Messaging (MMS), E-Mail oder „intelligente“ Smart Chips in Kleidung bzw. Lebensmittelverpackungen verändern.

Auf die Entwicklung der Technik reagiert die Techniksoziologie seit langem (vgl. Rammert, 1993, 2000). Zum einen hat sie wissenschaftliche Methoden entwickelt, um planmäßig, systematisch und organisiert technische Systeme zu bewerten und zu entwickeln. Dieser techniksoziologische Zweig wird eher der Technikfolgenabschätzung zugerechnet. Zum anderen analysiert Techniksoziologie, welche sozialen Dynamiken dafür verantwortlich sind, dass beispielsweise manche Kommunikationstechniken eher als andere von Individuen angenommen werden. Sie zeigt also auf, wie Technikentwicklung selbst von sozialen Prozessen bestimmt wird. Soziale Kommunikationsprozesse sorgen beispielsweise dafür, dass nach dem unerwarteten Erfolg von SMS im Mobilfunk auch MMS entwickelt wurde. Ob jedoch die Multimedia Message mit Bild und Ton in europäischen Gesellschaften ebenfalls so erfolgreich sein kann wie in asiatischen Gesellschaften, wird die aktuelle soziale Praxis zeigen.

Die Medien- und Kommunikationssoziologie bietet ein weiteres Erkenntnisinteresse an, auf das eine Soziologie vernetzter Medien zu achten hat. Wie bereits der Name der Medien- und Kommunikationssoziologie besagt, fragt sie danach: Wie verändern Medien die Kommunikation von Individuen? Gegenüber der Techniksoziologie spezialisiert sich die Medien- und Kommunikationssoziologie auf die Techniken, die als Medium der Kommunikation ihre Funktion erfüllen. Rundfunk, Zeitungen, Fernsehen, Buchdruck, Telegrafie, Computer und auch das Internet werden beispielsweise als Medien betrachtet. Allen Medien ist eigen, dass Individuen sie nutzen, um zu kommunizieren und sich zu informieren. In diesem Sinne wird der Begriff „Medium“ dem alltäglichen Sprachgebrauch gerecht, der das Medium in der Bedeutung von „Mittel“ oder „Vermittelndes“ versteht. Diese einfache Formulierung hat sein Pendant in einer wissenschaftlichen Definition: Unter Medien werden materiell-mechanische oder energetische Träger von Daten bzw. Informationseinheiten verstanden, die im Sinne der drei medienlogischen Grundphänomene der Speicherung, Übertragung und Bearbeitung von Daten fungieren (vgl. Hiebel, 1998, S. 12). Neumann-Braun differenziert den Medienbegriff in der Einführung zur Medien- und Kommunikationssoziologie noch stärker. Er dehnt den Medienbegriff um weitere Funktion der Medien aus, so dass er folgende sechs Aspekte unterscheiden kann: „Aufnahme, Speicherung, Übertragung, Vervielfältigung, und Reprodukti-on, Wiedergabe sowie Bearbeitung“ (vgl. Neumann-Braun, 2000, S. 30). Von diesen Aspekten muss ein Medium keineswegs alle Aspekte beinhalten – das Medium „Luft“ beispielsweise leistet nur die Übertragung von Schallwellen.

Im Mittelpunkt des Interesses stehen Medien, die eine Vermittlungsposition zwischen Individuen und der Gesellschaft einnehmen. Computersysteme betrachten Mediensoziologen daher weniger als Technik, sondern gemäß ihrer Disziplin als ein Medium für Massenkommunikation. Ihre Forschungsansätze stützt die Mediensoziologie auf drei Bereiche. In der Rezeptionsforschung und Medieninhaltsanalyse untersucht sie, wie das Publikum mit Massenmedien umgeht und was es dabei inhaltlich erfasst. Im zweiten Bereich theoretisiert sie, welche Rahmenbedingungen und Grenzen die mediale Kommunikation hat. Zu nennen sind für diesen Theoriebereich z.B. die Kritische Medientheorie, die poststrukturalistische Medienforschung sowie die Cultural Studies. Ihr drittes Interesse betrifft die wirtschaftlichen, ökonomischen und politischen Verhältnisse, die die Produktion von Information in den Medien beeinflussen. Medien- und Kommunikationssoziologie kritisiert dabei z.B. Machtverhältnisse, aufgrund derer Fernsehsender oder Zeitungsverlage die Öffentlichkeit manipulieren könnten. Die Anfänge der Mediensoziologie lagen in der Meinungs- und Medienwirkungsforschung. Man erhoffte sich von der Forschung zur Massenkommunikation eine Orientierung darüber, was Individuen denken und wie sie handeln werden, wenn sie aus den Medien ihre Information erhalten. Die Kritiker vermuteten, dass Medien eine Gefahr für die kulturellen Werte darstellen bzw. die Gefahr kultureller Normierung bergen. „Wir amüsieren uns zu Tode“ betitelte Neil Postmann seine medienkritische Analyse, die insbesondere das Fernsehen als eine Verdummung des Menschen betrachtete. Demgegenüber erwarten die optimistischen Theoretiker von den Medien positive gesellschaftliche Entwicklungen. Insbesondere in vernetzten, interaktiven Medien sehen sie weiterhin das Potenzial, der Gesellschaft mehr Demokratie, mehr Gerechtigkeit und die Beseitigung sozialer Ungleichheit zu ermöglichen.

Ob Optimisten oder Pessimisten die zutreffende Einschätzung haben, ist ungewiss. Doch gewiss ist folgende Einschätzung von Niklas Luhmann: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (Luhmann, 1996, S. 9). Ohne Medien könnten wir an der Weltgesellschaft nicht teilnehmen, darin ist sich die Medien- und Kommunikationssoziologie sicher. Und trotzdem bleibt die Verunsicherung, die Günter Anders kritisch gegenüber den Medien äußert und die für das Internet als die heutige Datenautobahn zu bedenken ist:

„Da es dem König aber wenig gefiel, daß sein Sohn, die kontrollierten Straßen verlassend, sich querfeldein herumtrieb, um sich selbst ein Urteil über die Welt zu bilden, schenkte er ihm Wagen und Pferd. `Nun brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen´, waren seine Worte. ´Nun darfst du es nicht mehr´, war deren Sinn. `Nun kannst du es nicht mehr`, war deren Wirkung!“ (Anders, 1987, S. 97)

Günter Anders stand der Technik sowie den Medien kritisch gegenüber. Gleichwohl hat er eine Formulierung dafür gefunden, was eine „Botschaft des Mediums“ oder des Medieninhalts für Individuen und soziale Systeme sein kann. Heutzutage würde der König seinem Sohn natürlich ein Handy schenken, damit der Junge immer seine Freunde anrufen kann und sich weniger allein fühlt. Insgeheim erhofft sich der König aber, dass er seinen Sohn stets kontrollieren kann. In der Wirkung könnte es passieren, dass der Sohn seltener seine Freunde trifft, sondern vergeblich zuhause auf einen Anruf seiner Freunde wartet oder immer nur mit ihnen telefoniert, sie aber nicht so oft Face-to-Face trifft.

Technik als auch Medien beinhalten oft das Potenzial, das Gegenteil von dem zu provozieren, was sie eigentlich verbessern wollten. Sowohl der Pferdewagen als auch das Mobiltelefon veränderten die Gesellschaft. Die genannten technischen Veränderungen haben in der Gesellschaft sowohl etwas verbessert als auch verschlechtert. Welche unterschiedlichen Potenziale in der Kommunikationstechnik vorhanden sind, untersucht die Medien- und Kommunikationssoziologie mit empirischen Forschungsmethoden und Theorien. Die jeweiligen Ergebnisse soziologischer Untersuchungen sind niemals immer gültig, sondern befinden sich parallel zur gesellschaftlichen Entwicklung im fortwährenden Wandel.

   1.2 Informatik und Gesellschaft  Anfang  Home
  In Anbetracht der aufkommenden Informationsgesellschaft schrieb der Soziologe C. Wright Mills (1916–1962) in den 60er Jahren spöttisch: „Soziologie ist IBM + Realität + Humanismus“ (zit. nach Abels, 2001, S. 49). In der heutigen Netzwerkgesellschaft müsste der Satz in Richtung anderer IT-Unternehmungen verändert werden. Im Kern bestätigt Mills die Trivialität, dass Informationstechnik in der Gesellschaft vielfältige Auswirkungen hat. Und er unterstreicht im Sinne der Medieninformatik, dass die kundengerechte Visualisierung und Audiogestaltung auch die strategisch geplante Selbstdarstellung des Unternehmens (Corporate Identity) – hier beispielsweise IBM – meint. Ein solch großes Unternehmen wie IBM drängt sich in die gesellschaftliche Realität, nicht nur weil es Computersysteme anbietet, sondern weil es seine unternehmerische Reichweite fortwährend und öffentlich visuell kommuniziert. Das Beispiel von IBM belegt, dass von Beginn an die Informatik einzelne Schwerpunkte beinhaltete, die sich auf die gesellschaftliche Praxis beziehen. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob unser soziales Gefüge als Informations-, Wissens-, Medien- oder Netzwerkgesellschaft beschrieben wird. Zentral ist vielmehr das Selbstverständnis der Informatik, mit dem sie sich auf die soziale Praxis der Individuen bezieht. Die oft gestellte Frage ist daher: Was ist Informatik? Und wie wirkt Informationstechnik auf die Gesellschaft und umgekehrt?

   1.2.1 Was ist Informatik? Anfang  Home
 

Was als Definition der Informatik gilt, formulieren deutsche Informatiker in regelmäßigen Abständen neu. Nordamerikanische Informatiker verfahren noch etwas pragmatischer. Sie suchen keine Definitionen. Sie sprechen von „Computer Science“ und meinen damit eine Wissenschaft, die sich mit Algorithmen, Informationsverarbeitung, Hard- and Software beschäftigt. Eine eindeutige Definition nennt weder die deutsche Gesellschaft für Informatik (GI) noch die amerikanische Association for Computing Machinery (ACM). Auch ein neuerer Sammelband mit dem Titel „Das ist Informatik“ will keine stabile Definition finden (vgl. Desel, 2001). Eine oft kritisierte, aber viel zitierte Definition der Informatik von Wilfried Brauer lautet:

„Informatik ist die Wissenschaft, Technik und Anwendung der maschinellen Verarbeitung und Übermittlung von Informationen. Ergänzend, meine ich [d.h. Brauer] heute, muss man hinzufügen: Ziel der Informatik ist die Entwicklung von Assistenzsystemen, die Menschen bei allen Arten von (geistigen) Tätigkeiten unterstützen.“ (Brauer, 2001, S. 24)

Mit dieser Definition bezieht Brauer die Informatik auf den menschlichen Intellekt. Computersysteme sollen Daten maschinell so verarbeiten, dass Menschen in den dargestellten Symbolen (Zahlen, Sprachen, Buchstaben, Bildern) wichtige Informationen interpretieren und als Wissen verstehen können. Für diese klassische Kerninformatik steht beispielsweise die Platzreservierung für Züge oder Flugzeuge. In vernetzten Computersystemen werden Daten darüber gespeichert, welche Plätze zu Verfügung stehen. Je nach Anfrage des Benutzers erzeugt das Computersystem aus den Daten entsprechende Information bzw. symbolische Zeichen, die über die Möglichkeit der Platzreservierung informieren und so zum Wissen des Interpreten werden. Anders als in der Soziologie versteht die Informatik unter Zeichen die Ziffern z.B. „2 – 5 – 5“ und geht davon aus, dass Zeichen innerhalb von syntaktischen Regeln als Daten gelten (z.B. 255 Plätze), die in einem gewissen Kontext (z.B. Flugzeugabfertigung) für den Interpreten eine Information (z.B. 255 frei Plätze) darstellen (vgl. Glossar: Daten). Der Symbolverarbeitungsansatz der traditionellen Kerninformatik weist deutliche Bezüge zur Gesellschaft auf. Symbole sind nämlich für die Soziologie nichts anderes als vergesellschaftete Zeichen einer Sprachgemeinschaft, wie beispielsweise die verbale Sprache, Bilder oder Piktogramme. Für die klassische Informatik ist folgender Symbolverarbeitungsansatz typisch:

„Alles Wissen und alles, was geschehen soll, wird nur [in Symbolen bzw. Zeichen] aufgeschrieben und muss erst von Menschen interpretiert und in Handlungen umgesetzt werden.“ (Brauer, 2001, S. 26)

Die rechnergestützte Manipulation von Symbolen und Zeichen ist für die Wissensgesellschaft eine sehr wichtige, aber nicht mehr die einzige Aufgabe, die die Informatik erledigen soll. Neben dem Symbolverarbeitungsansatz nennt Brauer die Physikbezogene Informatik und die Biologie-bezogene Informatik (vgl. Brauer, 2001, S. 26).

Die Physik-bezogene Informatik entwickelt Computersysteme, die beispielsweise die Steuerung und Regelung von medizinischen Geräten, Automotoren sowie „intelligenten“ Häusern übernimmt. Um die Steuerung und Regelung vorzunehmen, operiert die Physik-bezogene Informatik mit Messdaten (Index) und nicht mit Symbolen. Beispielsweise reagiert das Antiblockiersystem (Abk.: ABS) im Auto auf Messdaten, die die Blockierneigung des Rades bei starkem Bremsen verhindert. Die Sensoren im „intelligenten“ Haus messen Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit. Mittels Messdaten steuert das Physik-bezogene Computersystem die Heizung oder die Zufuhr von Frischluft im Haus. Zweifelsohne wirken Antiblockiersysteme und „intelligente“ Häuser indirekt auch auf die Gesellschaft. Es passieren beispielsweise weniger Autounfälle bzw. sinkt der gesamtgesellschaftliche Energieverbrauch. Physik-bezogene Computersysteme werden auch als Embedded Systems bezeichnet und je nach Aspekt im Ubiqutious Computing oder Ambient Computing eingesetzt.

Eine stärkere Beziehung von Informatik und Gesellschaft besteht bei soziotechnischen Systemen. Soziotechnische Systeme haben eine direkte Anbindung an den Menschen. Ein Verkehrssystem gehört beispielsweise zu den soziotechnischen Systemen. Es regelt den Autoverkehr und interagiert indirekt mit den Autofahrern. Gleichwohl orientiert sich die Steuerung des Verkehrsystems an der Geschwindigkeit und Zahl der Autos als physikalische Messdatengröße. Die Insassen in den Fahrzeugen spielen für die Verkehrsregelung keine Rolle. Die Physik-bezogene Informatik konstruiert daher Computersysteme, die z.B. Verkehrs- oder Handelssysteme wie physikalische Systeme behandelt. In der Software-Ergonomie und der Arbeitspsychologie werden ebenfalls alle Computersysteme als soziotechnische Systeme benannt, weil sie eine Anbindung an den Menschen haben.
Neben der rechnergestützten Verarbeitung von Zeichen, Symbolen und physikalischen Messdaten existiert eine Informatik, die weitgehend auf Modelle der Logik verzichtet, um alltägliche Fähigkeiten von Lebewesen also auch Menschen zu simulieren. Zu den alltägli-chen Fähigkeiten von Menschen gehören beispielsweise Emotionen. Aufgrund von Emotionen entscheiden wir, ob wir motiviert sind, ein interdisziplinäres Lehrbuch zu lesen oder bei Onlinerollenspielen teilzunehmen. Auch das Erkennen und Benennen von Gegenständen in unserer Alltagswelt stellt bisher eine große Herausforderung für die Informatik dar. Lebensformen zeichnen sich natürlich auch dadurch aus, dass sie zur Fortpflanzung, Wachstum und Evolution fähig sind. Um solche komplexen Dynamiken und Ungenauigkeiten lebendiger Organismen anzudeuten, charakterisiert Brauer diese verhältnismäßig junge Informatikdisziplin vorläufig als Biologie-bezogene Informatik bzw. auch Bioinformatik. Die Biologie-bezogene Informatik simuliert Strukturen und Verfahren, die Fehler, Unvollständigkeiten und Ungenauigkeiten ähnlich wie Lebewesen kompensieren können. Dazu gehört auch die Entwicklung von Systemen, die Gestalt erkennen, dynamische Systeme steuern und regeln sowie zielgerichtet, interessengeleitet und sinnbezogen handeln können. Die Biologie-bezogene Sicht führt zur NeuroInformatik, verhaltensbasierter Künstlicher Intelligenz (KI), Neuro-Linguistik, Computational Intelligence und Artificial Life (AL).

Mit Brauer wurden die drei wichtigsten Orientierungspunkte der gegenwärtigen Informatik genannt. Doch meist setzen die InformatikerInnen ihrer Disziplin keine definitorischen Grenzen. Ganz pragmatisch nutzt die Informatik alles, was die angestrebte Funktionalität eines Computersystems erhöht. Daher definiert die Informatik sich über die altbewährte Einteilung ihrer Fachgebiete an den Hochschulen.

Sowohl die Gesellschaft für Informatik (vgl. www.gi-ev.de, 2004) als auch z.B. Friedrich (vgl. 1995, S. 6) unterscheiden folgende Fachgebiete der Informatik:

• Theoretische Informatik – Sie stellt die mathematische Basis bereit. Dazu gehören u.a. Komplexitätstheorie, Automatentheorie, Theorie formaler Sprachen, Theorie der Berechenbarkeit.

• Praktische Informatik – Sie entwickelt u.a. Methoden und Modelle für Programmiersprachen, Mensch-Computer-Interaktion, Softwaretechnik sowie wissensbasierte Systeme. Informationssysteme, Betriebssysteme und Kommunikationssysteme sind ebenfalls Gegenstand der Praktischen Informatik.

• Technische Informatik – Sie befasst sich mit Schaltungen, Rechnerarchitektur, parallele und verteilte Systeme sowie Signal- und Bildverarbeitung.

• Angewandte Informatik – Sie umfasst die Entwicklung und Analyse von Methoden, die bei der Anwendung der Informatik in anderen Wissenschaften eingesetzt werden. Vielfach beschäftigt sie sich dabei mit Problemen, die von mehreren Anwendungsgebieten gemeinsam – also interdisziplinär – gelöst werden. Dazu gehören auch Aspekte der Dialogsysteme, Lehr- und Lernsysteme, Systemanalysen sowie die grafische Datenverarbeitung. Innerhalb der Angewandten Informatik strebt die Medieninformatik eine exponierte Stellung an. Sie vereint die technische und visuellkommunikative Mediengestaltung von Computersystemen mit soziologischen, juristischen, ökonomischen, politischen und medientheoretischen Forschungsergebnissen. Insofern ist die Medieninformatik eine Weiterentwicklung der Informatik in Richtung vernetzter, interaktiver und nicht diskreter („analoger“) Systeme und Anwendungen. Wenn im Folgenden mitunter nur die Angewandte Informatik genannt wird, ist die Medieninformatik definitionsgemäß integriert und mitgemeint (vgl. Herczeg, 2007).

• Informatik und Gesellschaft (kurz IuG) – Dieser Schwerpunkt analysiert die Wechselwirkungen von Informationstechnik, Individuen und Gesellschaft. Für die Informatik stehen hier Kriterien und Methoden zur Gestaltung sozialverträglicher Informationssysteme im Mittelpunkt. Das Verhältnis von Informatik und Gesellschaft ist nicht zu verwechseln mit dem von Informatik und Soziologie, denn Soziologie ist die Wissenschaft von der Gesellschaft, aber nicht diese selbst.

Die unterschiedlichen Fachgebiete der Informatik verweisen auf facettenreiche Strukturen und Methoden ihrer wissenschaftlichen Disziplin. Die „Gesellschaft für Informatik“ (GI) fixiert sich nicht auf eine Definition der Informatik. Dies begründet sie damit, dass fixierte Inhalte der Informatik sich in absehbarer Zeit als veraltet oder als zu eng erweisen könnten und wahrscheinlich auch werden (vgl. http://www.gi-ev.de/themen/was-ist-informatik/). So gehört es zum Selbstverständnis der Informatik, innerhalb ihrer Disziplin zu fragen, welche Folgen die automatisierte Informationsverarbeitung für die Gesellschaft, die Umwelt, für das Individuum hat, ob sie vertretbar sind und wo Grenzen liegen sollen. Auch andere Fachbücher halten die Informatik für alle erdenklichen Anwendungsfelder offen. Insofern lässt sich mit zugeneigter Ironie definieren: Die Welt der Informatik ist alles, was sie als ihre Aufgabe begreift. Mit etwas mehr Spaß schreibt der Informatiker Wolfgang Coy über seine Disziplin: „Unsere Lösung ist ihr Problem“ (Coy, 2001, S. 16). Damit meinte Coy zweifelsohne vorrangig die Softwarelösungen für Computerbenutzer.


   1.2.2 Was ist Medieninformatik? Anfang  Home
  Die Entwicklung zu einer vernetzten Mediengesellschaft vollzog sich in den letzten 10 Jahren äußerst zügig. Im Jahr 2006 nutzten bereits 50,7 Millionen Deutsche das Internet – das entspricht 58,6 Prozent der Bundesbürger über 14 Jahren (vgl. Emnid, 2006). Aus soziologischer Perspektive steht die Medieninformatik in enger Wechselwirkung zu den strukturellen Veränderungen unserer Mediengesellschaft. Viele Individuen kommunizieren und interagieren mit vielfältigen Anwendungen, an deren Entwicklung sich die Medieninformatik beteiligt. Wie einflussreich Medieninformatik in struktureller Wechselwirkung mit der Gesellschaft ist, hängt von ihrem Einfallsreichtum ab, mit dem sie die Wurzel der Vergesellschaftung – also die Kommunikation selbst – mitgestaltet. Im Schwerpunkt arbeitet die Medieninformatik an technischen Strategien der Mediengestaltung. Einerseits gestaltet sie Medien für die Kommunikation zwischen Menschen – d.h. Mensch-Mensch-Kommunikation. Andererseits gestaltet sie Medien als ein Handlungsmedium für die Mensch-Maschine-Interaktion bis hin zur Maschine-Maschine-Interaktion und Mensch-Mensch-Interaktion. Im Kern arbeitet die Medieninformatik daran, Medien zu gestalten, damit Anwender mit anderen Anwendern oder (Rechen-)Maschinen in kommunikativen oder interaktiven Kontakt kommen können.

Die Medieninformatik hat entsprechend ihrer praxisorientierten Wurzeln in der Angewandten Informatik keine allgemeingültige Definition. Was die Medieninformatik gegenwärtig ist, lassen Hochschulen in ihrer Lehrpraxis erkennen. Mitte der 90er Jahre entwarfen sie die Studiengänge für Medieninformatik (s. Universitäten bei www.medienstudienfuehrer.de; www.CVMI.net). Alle Entwürfe der Studiengänge reagieren darauf, dass multimediale, interaktive Systeme sowie deren Vernetzung einen wachsenden Innovationsdruck auf die Gesellschaft ausüben.

Sowohl die technischen als auch die gesellschaftlichen Entwicklungen wurden im Entwurf der Medieninformatik berücksichtigt. Sie kombiniert erstens die technischen Grundlagen moderner Computernetze mit der praktischen Informatik (Software-Entwicklung) und deren Anwendungen in elektronischen Medien. Zu diesen technischen bzw. technologischen Grundlagen der Medieninformatik gehören:

• Netzwerke
• Software-Entwicklung und -Engineering
• Internet-Technologien (Hypermedia)
• Multimedia-Programmierung und Präsentationstechniken
• Dokumenten- und Workflow-Management

Und die Medieninformatik nimmt zweitens die interdisziplinären Perspektiven ein, um die Informationstechnik so funktional wie möglich auf die Kommunikation von Individuen, Wirtschaft und Gesellschaft abzustimmen. Zur Optimierung der Informationsprozesse integriert die Medieninformatik folgende interdisziplinäre Schwerpunkte:

• Allgemeine medientheoretische Grundlagen der Medien und Kommunikationswissenschaft, Zeichentheorie (Semiotik)
• Mediengestaltung (Design) in ökonomischen, sozialen und kulturellen Kontexten menschlicher Kommunikation und Kooperation
• Mediensoziologie und Medienpolitik hinsichtlich Entwicklung der Gesellschaft (Trendanalysen, Technikfolgenabschätzungen)
• Technische Mediengestaltung (Physiologische und psychologische Grundlagen, Medienergonomie, Usability)
• Betriebs- und volkswirtschaftliche Grundlagen der Internetökonomie (Wirtschaftsinformatik)
• Medienmanagement (Marketing, Publizistik)
• Juristische Aspekte (Medien-Recht)
• Ethik und Moral in vernetzten, interaktiven Medien

Die technische und interdisziplinäre Vielfalt der Medieninformatik verbindet die Informatik mit unterschiedlichen Anwendungsfächern. Zwar existiert nach Steinmüller eine Kluft zwischen Informatik und der Anwendung in anderen Wissenschaften. Doch für ihn gilt: „Angewandte Informatik überbrückt diese Kluft“ (Steinmüller, 1993, S. 45). Desgleichen erfüllt Medieninformatik eine offensichtliche Brückenfunktion zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Mit Steinmüller wäre zumindest denkbar, dass Medieninformatik auch koordinierende Funktionen übernimmt. Sie müsste dafür die formalen, analytischen und konstruktiven Anteile der Informatik mit den Methoden und Lehren der Sozial-, Medien-, Kommunikati-ons- und Wirtschaftswissenschaften verbinden. Von der Angewandten Informatik erwartet Steinmüller sogar, dass diese eine „Vorreiterfunktion“ übernimmt, „soweit sie als Transfer-institut für Fragestellungen der Praxis an die Theorie der Informatik dient“ (Steinmüller, 1993, S. 45). Für solche Zukunftsaussichten ist die Medieninformatik bisher zu unentwickelt. Trotzdem konzentrieren sich in der Medieninformatik viele interdisziplinäre Anforderungen und Fragestellungen, die auch den Alltag einer informationellen Netzwerkgesellschaft bestimmen (vgl. Herczeg, 2007). Wie weit die Informatik sich mit dem Thema der Gesellschaft auseinandersetzt, zeigt das nächste Kapitel auf. Für die nächsten Jahre kann eine zunehmende Kooperation zwischen Wissenschaften der Informations- und der Kulturtechniken prognostiziert werden und sie ist auch notwendig. Denn die weiteren Organisationsgrade der globalen Vergesellschaftung von Individuen benötigen eine kulturübergreifende Informationstechnik.


   1.2.3 Wie bezieht sich Informatik auf Gesellschaft? Anfang  Home
 

Die Schnittmenge der Forschungsbereiche von Soziologie und Angewandter Informatik bzw. Medieninformatik ist die Gesellschaft. Trotz dieser Schnittmenge im Forschungsgegenstand blieb der interdisziplinäre Diskurs zwischen den beiden Fachrichtungen zögerlich. Allenfalls im lockeren Kontakt zur Informatik erforscht die Soziologie den Zusammenhang von Gesellschaft und Informationstechnik. Auf der fachlich gegenüberliegenden Seite konstruiert die Angewandte Informatik informationstechnische Systeme, deren Gesellschaftsorientierung in der Benutzerorientierung zum Ausdruck kommt. Diese Berücksichtigung sozialer Einflussgrößen in der Angewandten Informatik zieht aber keinesfalls eine starke Beachtung der Soziologie nach sich. Soziologie als Reflektionstheorie der Gesellschaft wird wenig berücksichtigt, weil sich der Schwerpunkt „Informatik und Gesellschaft“ (IuG) auf kleine handlungsorientierte Kontexte ausrichtet, in denen die Informationstechnik zunächst funktionieren soll. Auf komplexe gesamtgesellschaftliche Folgewirkungen und größere soziale Zusammenhänge ist die Informatik als Wissenschaft selbstverständlich nicht zugeschnitten. Der Schwerpunkt IuG reflektiert weniger die Gesellschaft als Ganzes, sondern mehr die aktuelle gesellschaftliche Praxis, in die sich Informationstechnik integrieren soll. Aus diesem Grund beschäftigen sich die Lehrbücher zur IuG vorrangig damit, wie Informationstechnik im Bildungsbereich, Arbeitsmarkt, Politik, Innere Sicherheit usw. ihre Funktion erfüllt. Die Informatik verfährt hier oft nach Nützlichkeitsabwägungen, die sie auf einen allgemeinen Utilitarismus westlicher Kultur ausrichtet. In allen Sozialkontexten scheint ihr Zweck im konkreten Nutzen (Utilitarismus) zu liegen, den die Informationstechnologie für das Individuum oder den sozialen Kontext stiftet. Der Schwerpunkt „Informatik und Gesellschaft“ verwendet dafür meist eigene Theoreme zur Gesellschaft, obwohl die Soziologie vielfach etwas zu ergänzen und selbstständige Studien zu bieten hätte.

Nichtsdestoweniger reflektiert die Informatik im Schwerpunkt IuG ihre Funktion in der Gesellschaft und ihre Verantwortung für die Gesellschaft. Sie versteht sich selbstredend als Teil der Gesellschaft innerhalb derer sie Informationstechniken plant und konstruiert. Die Bezüge, Interessen und Berücksichtigungen der Informatik in der Gesellschaft zeigt folgende Grafik:

Abb. 1.2 Informatik und Gesellschaft (nach Herrmann, 2001, S. 8)


Die Informatik hat eine wissenschaftliche und eine praxisorientierte Seite. Die wissenschaftliche Seite erforscht die Technik unter Einsatzbedingungen in der Gesellschaft und nutzt diese Forschungsergebnisse wiederum für die Ausbildung von Studierenden. Gleichzeitig erfolgt die Ausbildung von Benutzern und Anwendern auch im Rahmen der Praxis. Mit diesem Praxisbezug begründet Herrmann den entscheidenden Einfluss der beruflichen Ausbildung auf die universitäre Informatik. „Mit Hilfe einer Entwicklungsumgebung werden Informations und Kommunikationssysteme […] durch Akteure der Praxis entwickelt und unter Mitwirkung der Anwender, die ein System in Auftrag geben oder auswählen, zum Einsatz gebracht“ (Herrmann, 2001, S. 8). Zur Praxis gehören die Beratung der Anwender, der Entscheidungsträger sowie die Entwicklung der IuK-Technik in Bezug zu sozialen Systemen. Insbesondere die Einsatzumgebung erfordert die Maßgaben, „in welcher Weise das System von wem und für welche Aufgabe genutzt wird“ (Herrmann, 2001, S. 8). Zunächst sind es die Anwender, wie z.B. Unternehmen, Administratoren, Einkäufer, die die Entwicklung bzw. den Kauf einer Informationstechnik veranlassen. Sobald die Informations- und Kommunikationstechniken in die alltägliche Einsatzumgebung eingebettet wurden, können die eigentlichen Aufgaben von den Benutzern bearbeitet werden. Die Bewältigung der Aufgaben setzt einen „gesellschaftlichen“ Lernprozess der Benutzer voraus. Lehnen die Nutzer die IT ab oder bringen keine Lernmotivation auf, setzt sich die Anwendung in der Gesellschaft nicht durch. Ob beispielsweise das Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) von den Nutzern angenommen wird, darum bangen die Anwender in den Telekommunikationsunternehmen bis heute.

Die Selbstbeschreibung des Fachgebiets „Informatik und Gesellschaft“ impliziert unausgesprochen das Verhältnis von Informatik und Soziologie. Bisher existieren jedoch wenige wissenschaftliche Verbindungen zwischen beiden Disziplinen. Über die unausgesprochene Verbindung ließe sich spekulieren, dass die Angewandte Informatik die informationstechnischen Systeme entwickelt, deren gesellschaftliche Auswirkungen die Technik und Medien-soziologie erforscht. Hätte sich seit den 60er Jahren ein fruchtbarer Diskurs zwischen der Informatik und den Sozialwissenschaften entwickelt, dann hätte vermutlich die Informatik in Deutschland keine eigene organisatorische Struktur für das Verhältnis von Informatik und Gesellschaft etabliert. Wie K.-H. Rödiger überaus kritisch darlegt, versuchte die Informatik seit 1970 das Verhältnis von Informatik und Gesellschaft ohne Unterstützung anderer Sozialwissenschaften auszuarbeiten. In den 60er und 70er Jahren wäre die deutsche Informatik eventuell weniger staatlich gefördert worden, wenn sie während des Kalten Krieges mit einer an Marx orientierten Soziologie z.B. einer „Kritischen Theorie“ hätte kooperieren wollen. Insofern bestehen historische Gründe, warum die interdisziplinäre Kooperation erst heutzutage möglich ist. Wissenschaftlich fruchtbar ist die Kooperation allemal. Nach Rödigers Ansicht wurde das Verhältnis von Informatik und Gesellschaft bisher von keinem deutschsprachigen Lehrbuch fundiert dargelegt (vgl. Rödiger, 2002). Allerdings haben viele Informatik-Institute den interdisziplinären Diskurs zum Verhältnis von Informatik und Gesellschaft begonnen.

Die umfangreichste Fundierung des Verhältnisses von „Informationstechnologie und Gesellschaft“ arbeitete Wilhelm Steinmüller (1993) aus. Mitunter verästelt sich seine Einführung in die Angewandte Informatik in allzu feine Zweige des philosophischen, juristischen und soziologischen Diskurses. Im Vergleich zu neueren Einführungen weicht jedoch Steinmüller keiner Frage aus. Er begründet beispielsweise die Angewandte Informatik in ihrer Wissenschaftlichkeit. Denn sie versuche die Problemfelder der Beziehungen zwischen Informationstechniken und Gesellschaft mit rationalen Mitteln zu lösen. „Angewandte Informatik ist Wissenschaft [zweifellos] nicht für sich allein, sondern zusammen mit den speziellen Informatiken […].“ (Steinmüller, 1993, S. 59). Des Weiteren bietet Steinmüller viele brillante Formulierungen, die auch das Fachgebiet „Informatik und Gesellschaft“ thematisieren. In geisteswissenschaftlicher Begriffsführung befindet Steinmüller:

„Die in Deutschland allgemein akzeptierte Bezeichnung ‚Informatik und Gesellschaft‘ ist nicht sehr glücklich, da sie eine Wissenschaft zu einem ihrer Gegenstände in gleichrangige Beziehung setzt, also auf zwei logischen Ebenen zugleich operiert. Korrekt ist, dass es sich um eine Beziehung handelt; jedoch ist die Beziehung zwischen der Einführung computerunterstützter Technik und der Gesellschaft, wozu selbstverständlich auch die Beziehung zu den zugeordneten Wissenschaften gehört (in der Hauptsache Informatik und Sozialwissenschaften).“ (Steinmüller, 1993, S. 39)

Deutlicher als bei Steinmüller lässt sich die Beziehung zwischen Informationstechnik und Gesellschaft bzw. Informatik und Sozialwissenschaften nicht beschreiben, obwohl bis heute die eigentlich obsolete Gegenüberstellung verwendet wird. Es ist daher für die Bezeichnung „Informatik und Gesellschaft“ zu hoffen, dass das Gesagte auch das Gemeinte darstellt – also Informatik nicht mit Informationstechnik und Sozialwissenschaft bzw. Soziologie nicht mit Gesellschaft verwechselt wird.

Konträr zu der Einführung von Steinmüller zeigen Friedrich; Herrmann; Pescheck; Rolf (1995) mit ihrem Lehrbuch „Informatik und Gesellschaft“, wie Angewandte Informatik sich an gesellschaftlichen Erfordernissen ausrichtet. Dem Lehrbuch der vier Herausgeber wirft Rödiger harsch vor: dass sie „[…] gar nicht erst den Versuch einer theoretischen Fundierung oder einer Begründung der Themenwahl“ starten (Rödiger, 2002, S. 30). Das Buch „Informatik und Gesellschaft“ hält sich nicht mit anspruchsvollen Theorien und Herleitungen der Sozialwissenschaften auf, sondern die vielen Autoren stellen ihre anwendungsorientierten Perspektiven einer sozialorientierten Informatik der Praktiker vor. Zudem werden vielfältige Einsatzbereiche der Informationstechnik dargestellt und erklärt. Dazu gehört die Computerunterstützung in der Produktion, Material- und Güterlogistik. Und es gehören die Einsatzbereiche dazu, in denen Informationstechnik diverse Dienstleistungen erleichtert, die Überwachung in der Arbeitswelt unterstützt sowie im Bildungsbereich wichtige Vermittlungsaufgaben übernimmt usw. Insofern bietet das Lehrbuch eine gute Übersicht über die Informatik in der Berufspraxis.

Bleiben noch die umfangreichen „Tübinger Studientexte Informatik und Gesellschaft“ (Universität Tübingen, 1999) und das „Studienbuch Informatik und Gesellschaft“ (Fuchs & Hofkircher, 2003) zu nennen. Detlev Krause und Herbert Klaeren fungieren für insgesamt zehn Bände in der Reihe „Tübinger Studientexte Informatik und Gesellschaft“ als Herausgeber. Obgleich die Bände sich nicht zu einem kohärenten Ganzen summieren lassen, behandeln sie die jeweils ausgewählten Themen fundiert. Aus der Perspektive der Angewandten Informatik wird die Informatik als Wissenschaft reflektiert und in Bezug zur Technikentwicklung,
Ethik, Geschlechterdifferenz, Arbeitswelt, Lebenswelt und zu weiteren Themen gesetzt. Studierende der Informatik werden zum Nach- und Mitdenken darüber aufgefordert, wie die Einbindung der Informationstechnik in soziale Zusammenhänge zu leisten ist. Dahinter verbirgt sich eine aufgeklärte Einsicht. Nach dem Dafürhalten der Autoren könne eine vollständig am Algorithmus orientierte Informatik nicht ausreichen, um Informationstechnik in die sozialen Kontexte und Diskurse adäquat einzufügen. Die Informationstechnik orientiert sich oft schon deshalb an den sozialen Anforderungen, weil die Informationsgesellschaft unaufhörlich ihre Kommunikationskultur nuanciert und damit Absatzmärkte verändert. Nach Meinung der Autoren sorgt die Teilnahme an den gesellschaftlichen Diskursen, individuellen Emotionen und ökonomischen wie ästhetischen Trends für die produktive Verunsicherung, aufgrund derer Leitbilder, Methoden und die Angemessenheit von Modellen geprüft werden können. Die „Tübinger Studientexte Informatik und Gesellschaft“ bemühen sich ausdrücklich um einen interdisziplinären Spagat:

• Einerseits wollen sie „mit den Mitteln der Sozial- und Geisteswissenschaften die Wirklichkeit besser verstehen“ (Klischewski, 1999, S. 6).

• Und andererseits wollen sie „die Handlungsmöglichkeiten des einzelnen (im Berufsalltag und in der Gesellschaft) deutlicher aufzeigen“ (Klischewski, 1999, S. 6).

Dieser Spagat impliziert nach Meinung Klischewskis, dass „die IuG-Fachvertreter/innen […] bestehende ökonomische, politische oder gesellschaftliche Verhältnisse oft grundsätzlich [kritisieren]“ (Klischewski, 1999, S. 6). Die kritische Distanz macht Informatikern unterschiedliche Denkwerkzeuge nutzbar, mit denen sie den Praxisbezug jeweiliger Informationstechnik optimieren können. Diesen Balanceakt zwischen Gesellschafskritik und praktischer Anwendbarkeit vollführen die „Tübinger Studientexte Informatik und Gesellschaft“.

Das „Studienbuch Informatik und Gesellschaft“ von Fuchs und Hofkircher weist ein hohes, soziologisches Niveau auf. Es liefert wissenschaftliche Begründung in empirischer, theoretischer und praktischer Hinsicht. Wie kaum ein anderes Studienbuch der Informatik werden selbst Zukunftsvisionen einer besseren Informationsgesellschaft entwickelt. Es wird eine profunde Übersicht über soziologische Theorien gegeben, die für die Informatik wichtig sein könnten. Mitunter versickert die Thematik von Informatik und Gesellschaft in einem allumfassenden, d.h. holistischen Ansatz, der zu viele wissenschaftliche Disziplinen für die Informatik interessant machen will (Fuchs & Hofkircher, 2003, S. 78). Außerdem leistet sich das Studienbuch zu kurze Ausflüge in soziologische Theorien, die oft vollständig die Belange der Informatik vergessen. Der einheitlichen Begründung des Fachgebiets von „Informatik und Gesellschaft“ bleibt das Lehrbuch weiterhin schuldig.

Im deutschen Sprachraum orientieren sich die Bücher von Steinmüller sowie Fuchs und Hofkircher am deutlichsten an den Sozialwissenschaften. Zuversichtlich sehen Fuchs und Hofkircher die Einheit der Informatik in folgender Fragestellung begründet: „Wie müssen soziotechnische Systeme, die zur Unterstützung der (zwischen- und über)individuellen Informationsverarbeitung gebraucht werden, konzipiert und konstruiert, eingeführt und eingesetzt werden, damit sie gesellschaftlichen Fortschritt ermöglichen“ (Fuchs & Hofkircher, 2003, S. 82). Sobald mit Fortschritt die Verbesserung gesellschaftlicher Lebensbedingungen gemeint wäre, würden kritische Sozialtheorien sofort einen unbegründeten Kulturoptimismus diagnostizieren. Nichtsdestoweniger bemüht sich das Fachgebiet „Informatik und Gesellschaft“ selbstredend um positive Entwicklungen.

„Ausgehend von den Folgen der Informatik können Informatikerinnen und Informatiker versuchen, bei der Gestaltung und Entwicklung computerunterstützter Systeme unerwünschte gesellschaftliche Wirkungen zu vermeiden oder – weitgehender – erwünschte Wirkungen bewusst zu verstärken.“ (Friedrich u.a., 1995, S. 1f.)

Ob die sozialen Konsequenzen einer Informationstechnik als erwünschte bzw. unerwünschte Wirkungen eingeschätzt werden, hängt von den Kriterien sowie Werten der jeweiligen Gesellschaften bzw. sozialen Gruppen ab. Die einen erkennen beispielsweise in den OnlineDiskussionsforen, den Chats, einen gesellschaftlichen Vorteil, indessen die anderen eine fortschreitende Isolation und Medienverwahrlosung der Menschen beobachten. In gewaltdarstellenden Computerspielen, wie z.B. Ego-Shootern, sehen manche Journalisten und Wissenschaftler bereits einen Grund für die Jugendkriminalität in unserer Gesellschaft.

Alle sozialen Entwicklungen infolge der Informationstechnik können und sollen die Informatik als auch die Soziologie nicht abschätzen. Wie weit die Informatik und Soziologie sich gegenüber der Gesellschaft mitverantwortlich zeigen bzw. zeigen können, das bleibt in der Schwebe fachlicher Diskussionen. Ein wahrheitsfähiger Standpunkt ist in dieser Frage der Verantwortungsethik der Wissenschaften nicht aufzubauen. Vielmehr sind fortwährend kritische Zeitpunkte zu bestimmen, wann eine Diskussion über Technikfolgen in der Gesellschaft erforderlich wird und wie die Diskussion in sowie zwischen den beiden Wissenschaften geführt werden soll. Zudem zeigen die fließenden Grenzen zwischen den Forschungsthemen der Informatik und denen der Soziologie auf, wo Berührungspunkte zwischen den beiden Wissenschaften in Bezug auf die Gesellschaft liegen. Die beiden Wissenschaften beziehen sich unterschiedlich auf die sozialen Folgen der Informationstechnik (IT). Zur Orientierung stelle ich einige wichtige Forschungsthemen vor, die die jeweiligen Disziplinen als ihre Aufgaben verstehen.

Tab. 1.1 Informationstechnik (IT) und Gesellschaft in der Informatik und Soziologie

Die Forschungsthemen der beiden Disziplinen unterschieden sich in der Vergangenheit im Praxisbezug. Die Informatik im Spannungsfeld von IT und Gesellschaft antwortet praxisbezogen auf die Fragen nach dem Wozu und dem Wie. Sie löst Probleme, indem sie einen Chat-Room, einen Zoom, menschengerechte Arbeitsplätze gestaltet, um z.B. dialogische Kommunikation mittels Schrift als soziale Praxis zu verbessern. Diese Gestaltungsaufgaben der Informatiker erforderten auch sozialwissenschaftliche Methoden, Informationstechnik praxistauglich zu entwickeln. Von solchem Praxisbezug der „Gestaltung“ einer Gruppe, Gesellschaft oder Kommunikationssituation ist die Soziologie teilweise entfernt. Die empirische und theoretische Soziologie wollte gesellschaftliche Zustände und Prozesse erkennen, verstehen und erklären. Sie wollte mit ihren Methoden nicht die Gesellschaft konstruieren.

Ansätze zum Sozialingenieur oder zur Sozialtechnologie (engl. social engineering) werden in der Kritischen Soziologie negativ beurteilt. Diese Haltung wurde mit der Unmöglichkeit vollständiger technokratischer Planung der Gesellschaft begründet. Man hatte Angst, ingenieurswissenschaftliche Theorien über kausale Beziehungen könnten instrumentalisiert und für die Planung des gesteuerten gesellschaftlichen Wandels eingesetzt werden. Solchen Theorien der Sozialtechnologie wirft die kritische Soziologie ein Positivismus vor, der menschliches Leben auf anmaßende Berechenbarkeit reduziert. Angesichts der gesellschaftlichen Komplexität sah demgegenüber der Vertreter des Kritischen Rationalismus – Karl Raymund Popper (1902–1994) – als einer der ersten, dass im positiven Sinne ein „piecemeal engineering“ – d.h. eine „Stückwerk-Technik“ – für die Planung kleiner Sozialsysteme praktikabel und nötig ist (vgl. Popper, 2003). Werbung, Marketing und Meinungsumfragen nutzen heutzutage beispielsweise sozialwissenschaftliche Methoden, um Märkte und Lebensweltgruppen zumindest zu beeinflussen und planbarer zu machen.

Das verkleinerte Pendant zur Sozialtechnologie sind im Bereich der Informatik die sozio-technischen Systeme. Soziotechnische Systeme setzen soziale und technische Systeme in eine Wechselbeziehung. In Auskunft- oder Wissensmanagementsystemen gehen beispielsweise Menschen und Maschinen eine interaktive Wechselbeziehung ein, die als ein soziotechnisches System betrachtet werden kann. Ein Wissensmanagementsystem als soziotechnisches System berücksichtigt zudem, von welchen Alters-, Bildungs- und Kulturgruppen es bedient wird. Ursprünglich beschrieb das Tavistock Institute (1951) mit dem Begriff, dass die Arbeitseffektivität im Bergbau auf dem Zusammenspiel von Technik und sozialen Bezügen beruht. Mumford übernahm den Begriff für informationstechnische Systeme (vgl. Mumford, 1987). Allerdings reichen die historischen Grundlagen für die Gestaltung von Mensch-Computer-Systemen bis zu Willi Hellpach (1922) und Kurt Lewin (1926) zurück (vgl. Greif, 1997, S. 15). Das Konzept der soziotechnischen Systeme findet heutzutage in der Informatik meist dann Beachtung, wenn Qualität und Produktivität in Arbeitsabläufen verbessert werden kann (z.B. Softwareergonomie).

Anders als Soziologen sind Informatiker den soziotechnischen Systemen gegenüber aufgeschlossen. Informatiker erkennen in der wechselseitigen Interaktion von sozialen mit technischen Systemen die wesentliche Basis für die Möglichkeit, praxisnahe Informationstechnik für z.B. Krankenhäuser, Flughäfen und Atomkraftwerke zu konstruieren. Zweifelsohne kommt dabei (hoffentlich) kein Informatiker auf die Idee, die ganze Gesellschaft als ein soziotechnisches System zu konstruieren. Die Gesellschaft als Ganzes ist zu komplex, als dass alle Zusammenhänge beobachtbar wären. Ein soziotechnisches System, wie ein Krankenhaus beispielsweise, lässt sich beobachten und in Einzelheiten planen. Deshalb unterscheidet sich die Komplexität sozialer Kontexte. Die sozialtechnologische Planung einer Gesellschaft ist unmöglich, indessen die Konstruktion eines soziotechnischen Systems noch überschaubar ist.

Wo die Soziologie die Informationstechnik in der Gesellschaft kritisch betrachtet, sieht die Informatik in soziotechnischen Systemen eine Chance, das Verhältnis von Informationstechnik und Gesellschaft zu verbessern. Vor dem historischen Hintergrund, dass die großen Planungen und Konstruktionen von Gesellschaften mit dem Marxismus gescheitert sind, hat sich die Soziologie ab den 70er Jahren in vielen Bereichen aus der Konstruktion von Sozialität zurückgezogen. Erst mit der Formulierung der soziotechnischen Systeme innerhalb der Informatik wächst wieder das soziologische Interesse, an der Gestaltung von Software mitzuwirken und deren Anwendung in Sozialkontexten zu evaluieren, um beispielsweise virtuelle Communities, herrschaftsfreie oder gruppenkonstituierende Kommunikation aufzubauen. Nichtsdestoweniger begegnen die beiden Wissenschaften der Gesellschaft in ihren Hauptströmungen unterschiedlich:

• Die klassische Soziologie will keine politischen Handlungsanleitungen erarbeiten, „sondern stellt sich die Aufgabe, gesellschaftliche Zustände und Prozesse zu erkennen, zu verstehen und zu erklären“ (Klischewski, 1999, S. 19).

• Demgegenüber sieht der Fachbereich IuG die Rolle der Informatik in der Gesellschaft „tendenziell als Gestaltungswissenschaft, angelehnt an das angloamerikanische Verständnis von Design. Für viele Vertreter von IuG ist damit die Zielsetzung der Informatik klar: Die soziale Welt soll von der Wissenschaft [also der Informatik] berücksichtigt werden; die Anwendung informatischen Wissens soll sozialen und ethischen Zielen folgen“ (Klischewski, 1999, S. 19).

Als Gestaltungswissenschaft will sich Informatik in die Gesellschaft integrieren, um ihr die bestmögliche Informationstechnik anzubieten. Informatik beeinflusst dabei unser alltägliches Sozialverhalten, z.B. darin wie wir die Applikationen E-Mail, SMS, Chaträume, virtuelle Agenten oder sprachverarbeitende Systeme verwenden. Ihre informationstechnischen Konstruktionen sollen sich in die Ziele der jeweiligen Gesellschaft integrieren. Wie unsere Gesellschaften bzw. unsere Weltgesellschaft beschaffen ist, kann und will die Informatik nicht klären. Diese Lücke füllt die folgende Soziologie vernetzter Medien. Sie zeigt auf, wie computerunterstützte Mediensysteme die Gesellschaft verändern bzw. beeinflussen. Die Ausgangsvoraussetzungen für eine Soziologie vernetzter Medien zeigt folgendes Kapitel auf. Im Anschluss daran folgen konkrete Statistiken zur globalen Vernetzung und grundlegende Theorien zum Wandel der Informationsgesellschaft und der Informationstechnik.

 

   1.3 Soziologie vernetzter Medien Anfang  Home
 

Im 14. Jahrhundert war China die fortgeschrittenste Zivilisation der Welt. Die Chinesen erfanden den Eisenguss, das Schießpulver, den Kompass und selbst das Papier wurde in China 1000 Jahre früher eingeführt als in Europa. Das Drucken begann bereits im siebten Jahrhundert. Manuel Castells fragt sich, warum China als die fortgeschrittenste Zivilisation der Welt ab dem 14. Jahrhundert seinen Vorsprung verlor (vgl. Castells, 2003, S. 9). Welche Interaktion zwischen Gesellschaft und Technik führte in China dazu, dass die Gesellschaft ihr hoch entwickeltes Niveau einbüßte? Die technologische Entwicklung allein erklärt das chinesische Phänomen nicht. Die sich verlangsamende Entwicklungsgeschwindigkeit führt Castells auf soziale Ursachen zurück. Er stützt sich auf Untersuchungen diverser Wissenschaftler und kommt zu dem Schluss, dass China ab dem 14. Jahrhundert eine weit überzogene Bürokratisierung der Gesellschaft einführte. Im Interesse des chinesischen Staates unter der Ming und der Qing-Dynastie standen weniger technologische Innovationen, sondern er förderte stärker die Künste, die Geisteswissenschaften und seine kaiserliche Bürokratie. In der Folge konzentrierten die kulturellen und gesellschaftlichen Eliten ihr eigenes Fortkommen auf jene drei staatlich geförderten Arbeitsbereiche und vernachlässigten die Weiterentwicklung der traditionellen Technologien. Die Geschichte Chinas verdeutlicht, dass der technisch höchste Entwicklungsstand sich nicht unabhängig von der Gesellschaft entwickeln und stabilisieren kann. Technikentwicklung ist mit Kultur und Gesellschaft eng verbunden. Das Japan des ausgehenden 19. Jahrhunderts belegt indessen, dass staatliche Bürokratisierung auch in positiver Weise zu einem Weltkonzern wie z.B. NEC (Nippon Electric Company: www.nec.com) führen kann (vgl. Castells, 2003, S. 12).

Exemplarisch verdeutlicht die chinesische Vergangenheit, welche starken Interaktionen zwischen gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen bestehen. Wie heutzutage gesellschaftliche Veränderungen mit der Informationstechnik rückgekoppelt sind, erläutert folgende Einführung in die Soziologie vernetzter Medien. Sie konfrontiert sich dabei sowohl mit Entwicklungen der Gesellschaft als auch der Informationstechnik. Ihre wissenschaftliche Basis begründen einerseits die Technik- und Mediensoziologie und andererseits die Informatik sowie Medieninformatik. Insofern fundieren die beiden speziellen Soziologien eine empirische und theoretische Forschung, indessen die Medieninformatik sich mit Konstruktionen in die gesellschaftliche Praxis integriert. Der Fokus richtet sich dabei auf die Wechselbeziehung von Gesellschaft und Informationstechnik. Der besondere Schwerpunkt liegt auf den vernetzten, interaktiven Medien, die in die Unterhaltungselektronik, die Telekommunikation als auch in die Computersysteme integriert sind. Die gesellschaftswissenschaftliche Betrachtung bezieht sich auf unterschiedliche Transformationsprozesse infolge der Informations- und Kommunikationstechnik. Zu den weitreichensten Interdependenzen zwischen Informationstechnik und Gesellschaftsentwicklungen gehören gegenwärtig:

1. die Informatisierung – d.h. die intensive Integration der Informationstechnik in alle Lebensbereiche und die wachsende wirtschaftliche, kulturelle und soziale Bedeutung des Informationssektors.

2. die Wissensorientierung – d.h. die exponentielle Zunahme naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und deren kurzlebige Gültigkeit.

3. Komplexität – d.h. der explosionsartige Anstieg verfügbarer Informationen durch umfangreiche Datennetze.

4. die Globalisierung – d.h. die Zunahme und Intensivierung nationenübergreifender wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Beziehungen.

5. die Mediatisierung und Mobilität – d.h. die sich beschleunigende Marktdurchdringung integrierter multimedialer Universaldienste mit vernetzten sowie mobilen Multitools, wie z.B. Personal Digital Assistants (PDA) and Wireless Digital Assistants (WDA) Smartphones (PDA und Mobiltelefonie).

6. Digital Divide – d.h. die soziale Ungleichheit, dass erst ca. 10 Prozent der Weltbevölkerung über eine Basisqualifikation zur Beschaffung und Nutzung der neuen Informationsvielfalt verfügen.

7. Ökonomische Wertschöpfungsprozesse – sie basieren auf dem steigenden Einsatz der Informationstechnik und der zunehmenden Wissensbasierung aller Berufe (vgl. Steinbicker, 2001, 7ff.).

Eine Soziologie vernetzter Medien moduliert oder simuliert nicht Sozialität. Ihre Wissenschaftsbereiche zeigen die sozialen Strukturen und Kontexte auf, die sich aus den Einsatzmöglichkeiten neuer Informations- und Medientechnik ergeben. Die beginnende Durchdrin-gung der Weltgesellschaft mit vernetzten, interaktiven Medien zieht sowohl die technische als auch die soziale Vernetzung nach sich. Individuen knüpfen soziale Beziehungen und nutzen dafür technische Netze, mittels derer sie telefonieren, mailen, chatten, surfen, simsen, Bilder sehen und Tonbeiträge hören. Natürlich beeinflussen die vernetzten, interaktiven Medien auch die Kommunikation zwischen Individuen. Kritisch bemerkt Thomas Steinmaurer, dass die medialen Angebote „in einem immer größeren Ausmaß zu medientypischen Verhaltens- und Denkweisen bis hin zu Inszenierungsformen und Stereotypisierungen der Individuen in der Mediengesellschaft“ (Steinmaurer, 2003, S. 9) führen. Diese These bestä-tigt z.B. Cosplay – ein Kostümspiel oder Lebenswelt-Rollentheater, dass sich die japanischen Mangas (Comics) zum Vorbild nimmt (vgl. www.cosplay.com oder www.cosplay-heaven.de). Nichts desto weniger war und ist es für Gesellschaften keineswegs ungewöhnlich, dass sie Medien nutzen und infolge der Rezeption zu medientypischen Verhaltens- und Denkweisen kommen. Vergesellschaftung selbst ist auf irgendein Medium der Kommunikation angewiesen und sei es nur das Licht, dass uns die Zeichen und Verhaltensweisen anderer Menschen visuell wahrnehmen lässt. Die Soziologie vernetzter Medien folgt der alten Frage danach, wie sich Individuen mittels Kommunikation vergesellschaften. Dass dabei die vernetzte und interaktive Computertechnik etwas an der Kommunikation verändert, ist – locker gesprochen – seit der Einführung der Keilschrift auf Tontäfelchen bekannt. Indessen wurden bis heute nicht mehr als die wesentlichen Basisannahmen ausgearbeitet, wie die Kommunikations- und Medientechnik die derzeitige Informationsgesellschaft verändert. Sieben wichtige Anhaltspunkte für den tief greifenden Strukturwandel in der Informationsgesellschaft umreißt Steinbicker. Er orientiert sich dabei an Daniel Bell, Peter F. Drucker und Manuel Castells – den drei bedeutendsten Theoretikern der Informationsgesellschaft bzw. Netzwerkgesellschaft. Folgende gesellschaftliche Wandlungsprozesse von der Industriegesellschaft zur Informations- und Netzwerk-Gesellschaft stehen im Vordergrund:

1. Wachstum der Produktivität und Steigerung der Wertschöpfung: Wissen, Innovationen, Aufmerksamkeiten und technische Entwicklung der Informationsgesellschaft lösen die bisherigen Produktionsweisen Arbeit, Kapital, Land, Maschinen und Energie der Industriegesellschaft zunehmend ab.

2. Sozialer und ökonomischer Strukturwandel infolge der Informations- und Kommunikationstechniken (IuK). Globalisierung der Finanz- und Gütermärkte.

3. Wandel zu Organisationsformen einer Netzwerkgesellschaft, die die alte Industriegesellschaft und deren Organisationsmodell einer hierarchischen Bürokratie ablöst.

4. Strukturwandel der Arbeit: Wissensarbeiter, Experten und Techniker übernehmen eine strategische Position in der Informationsgesellschaft. Ebenfalls wächst die Bedeutung von administrativen Berufen auf der Managementebene. Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und in der produzierenden Industrie verschwinden zugunsten von Dienstleistungen.

5. Soziale Ungleichheit: Bildung und Wissen gelten als wichtigste Faktoren im Schichtungssystem der Informationsgesellschaft. Der gesellschaftliche und ökonomische Status verliert an Bedeutung.

6. Wandel der Machtstrukturen – die traditionellen Rollen des Staates, der Wirtschaft und der medialen Öffentlichkeit konkurrieren mit der „subversiven“ Macht informationstechnischer und sozialer Netzwerke. Z.B.: Patentrechte, Copyright und Marktregulierung in Konkurrenz zu Open Source (www.opensource.org), Copy Left (www.gnu.org) und zu vollständiger Deregulierung der Märkte.

7. Sozialer Konflikt zwischen hochqualifizierten Wissensarbeitern (knowledge worker) und marginalisierten Dienstleistungsarbeitern, die sich ohne qualifizierte Bildung, Information, Ressourcen oder Macht hinter tradierten Codes und Werten zurückziehen (vgl. Steinbicker, 2001, 9f.).


   1.4 Zusammenfassung: Soziologie  Anfang  Home
 

Mit dem Fachgebiet „Informatik und Gesellschaft“ sensibilisiert sich die Informatik für soziale Kontexte, in denen Informations- und Kommunikationstechnik vielfältige Funktionen übernimmt. Zu den sozial sensiblen Einsatzbereichen der IuK-Technik gehören die Arbeitswelt mit ihrer Produktion, Material- und Güterlogistik, ihrer Dienstleistung in Büro und Verwaltung sowie ihrer computergesteuerten Überwachung. Auch die staatlichen Bereiche der Verwaltung, der Inneren Sicherheit, des Militärs, des Gesundheitssystems und die Informationstechnik im Bildungsbereich nimmt das Fachgebiet „Informatik und Gesellschaft“ in den Blick. Zur sozialorientierten Informatik gehört auch die Technikfolgenabschätzung sowie die Arbeitsanalyse, die Software-Ergonomie und rechtliche Rahmenbedingungen. Trotz dieses breiten Interesses an der Gesellschaft sowohl in der Informatik als auch in dem Fachgebiet „Informatik und Gesellschaft“ fehlt die soziologische Perspektive auf Informationstechnik und Gesellschaft. Um diese Lücke zu ergänzen nimmt die Soziologie vernetzter Medien ihren Ausgangspunkt in der Technik- und Mediensoziologie. Die Techniksoziologie betrachtet Folgen der Informationstechnik in der Gesellschaft, indessen analysiert die Mediensoziologie, wie sich die Kommunikationsverhältnisse in der Gesellschaft verändern. Zusammengenommen fokussiert die Soziologie vernetzter, interaktiver Medien den Wandel, den die Informationstechnik in den Sozialstrukturen und Kommunikationsverhältnissen der Gesellschaft bewirkt. Sie ergänzt damit den Fokus, den das Fachgebiet „Informatik und Gesellschaft“ auf die vielen Einsatzbereiche der IuK-Technik hat, um die soziologische Perspektive auf soziale Ungleichheit, Wertschöpfungsprozesse, Globalisierung, Strukturwandel der Arbeit und Macht, Wissensorientierung der Gesellschaft sowie computerunterstützte Vergesellschaftungsformen, die Ethik unserer Gesellschaft und weitere Themen.

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