Kommunizieren Bilder jenseits von Werten?
In: Bildstörung, Die Entwertung der Bilder durch die Bilder,
forum medienethik, Nr. 1, Tübingen, 1998, S. 77-79
Schelske, Andreas zurück
Kommunizieren Bilder jenseits von Werten?
1.
Die diesem Heft zugrunde liegende, suggestiv anmutende Arbeitshypothese "einer Entwertung der Bilder durch Bilder" unterscheidet weniger zwischen Bildern, sondern sie polarisiert zwischen dem Wert des Wertvollen und dem Wert des Wertlosen bzw. Entwerteten. Es ließe sich daher spekulieren, daß das Unwerte in dem Antagonismus vom Wertvollen und Wertlosen vermutlich unberücksichtigt bliebe, weil es in den für Wert befundenen Kommunikationscodes einer Kultur keinen Ort fände. Was hieße es jedoch für Bilder bzw. für die Bildkultur einer Gesellschaft, wenn ihre valorisierten Kommunikationsformen derart durch profane Formen devalorisiert würden, daß sie ihren Wert einbüßen müßten? Welcher Wert könnte Bildern überhaupt abhanden kommen, wenn sie sich durch sich selbst entwerten sollten: Verschwände ihr kommunikativer Wert, würden sie sich des Werts des Schönen und des Guten entledigen? Was kann also gemeint sein, mit einer Entwertung der Bilder durch Bilder?
2.
Zu den Zeiten als Bilder unikalen Charakter hatten, gestand man ihnen einen Wert zu, weil es neben ihnen selten ein zweites, gleiches Bild gab. Der Wert bestimmte sich hier durch die Einzigartigkeit des Bildes selbst. Er bestimmte sich aber auch dadurch, daß das Bild mitunter ein als wertvoll erachtetes Neues zeigte oder es die valorisierte Kultur eines traditionellen Sujets vor Augen führte. Ein erster Angriff auf das Unikat wurde den unterschiedlichen Drucktechniken zugeschrieben, mit denen Bilder reproduziert wurden. Mit der Fotografie fand die Reproduktion des Kunstwerks allerdings ihren Zenit in der theoretischen Diskussion und praktischen Umsetzung. Denn gegenwärtig rückt die Reproduktion und der Verlust des einzigartigen Bildes weniger in den Mittelpunkt des Erstaunens, da mit den elektronischen Medien der Wert des authentischen Bildes von etwas abhanden kommt. Um demonstrativ kommunikativ zu wirken, benötigen auch die elektronisch generierten Bilder einen Code, der sie miteinander verkoppelt und in eine kulturelle Wertsphäre versetzt. In dieser Hinsicht behalten die computerisierten Bilder den Wert einer visuellkommunikativen Konnektivität bei. Worin sie indessen an Wertschätzung verlieren, ist die ihnen zugestandene Referenz zu einem potentiell erlebbaren Gegenstand, der mit der Fotografie belegbar schien. Denn die computerisierten Bilder entwerten diejenigen kulturellen Wertsphären, die hinsichtlich der fotografischen und filmischen Bilder dafür sorgten, daß man von diesen erwartete, daß sie real Existierendes darzustellen vermochten. Mit televisionären Computerbildern werden deshalb nicht die Bilder entwertet. Es ist vielmehr die Unabhängigkeit sowohl von Bewußtseinsereignissen der Bildproduzenten als auch von faktisch sichtbaren Ereignissen, mit der es Computerbilder provozieren, daß die Werte der Einmaligkeit, der traditionell herrschenden Schönheitskriterien und des indexikalischen Bezugs auf Wirklichkeit zunehmend als unzulänglichere Maßstäbe gelten, sobald Betrachter eine Handlungsorientierung erlangen möchten. Um sich gegenwärtig handlungsrelevant an Bildern zu orientieren, ist es für Betrachter bedeutender, daß sie erkennen, welche Gruppe sich mit welchem Bildstil symbolisiert und welche kommunikativen Beziehungsaspekte dabei relevant werden. Welche Wertsphären mit den Bildern berührt werden, ob beispielsweise Kunst oder Religion im kommunikativen Spiel ist, ist dabei zweitrangig, da die Bilder diese traditionellen Stabilisierungsmuster für kulturelle Wertsphären verlassen, um als visuelle Kommunikation mit der sprachlichen in Konkurrenz treten zu können. Bilder bzw. eigentlich deren Verwender entwerten gegenwärtig ihre traditionellen Wertsphären, sie entwerten nicht die visuellkommunikative Bildkultur, die sich Bild für Bild stets eindringlicher stabilisiert.
3.
Für die geschichlich dargestellten Bilderstürme wäre es unrichtig, zu behaupten - soweit sie Kunsthistoriker erforscht haben - sie wären in erster Linie von ästhetischen Differenzierungen motiviert worden. Die historisch bekannten, kollektiven Zerstörungen von Bildern versuchten nicht, sich aller Möglichkeiten der visuellen Kommunikation zu entledigen, sondern sie strebten es an, die symbolisierten Werte zu vernichten, mit denen sich eine religiöse oder politische Herrschaft in der öffentlichen Kommunikation behauptete. Gegenwärtig ist eine solche Dematerialisierung der Bilder durch Kollektive - außer in manchen Kriegsgebieten - selten anzutreffen. Gleichfalls rütteln spontane Angriffe auf beispielsweise Plakate weder an kulturellen Werten noch an Symbolen einer politischen oder ökonomischen Macht.
Werden gegenwärtig Bilder gewissermaßen erstürmt, so werden sie in ihrem symbolischen Interpretationsgehalt mehr umgewertet als entwertet. Mit einer solchen Umwertung eines Bildes geling es z.B. politisch unzufriedenen Chinesen, das Porträt von Mao derart in der Bedeutung zu verändern, daß es in spezifischen Verwendungskontexten als ein Protestsymbol gelesen wird. Auf andere Weise arbeiten Wahlstrategen der SPD mit der Technik der Bedeutungsverschiebung: Sie versinnbildlichen Schröder in einer zigarrenrauchenden Pose, die der Ludwig Erhards gleicht, um zu symbolisieren, daß an dessen damaligen, wirtschaftspolitischen Erfolgen der SPD-Kanzlerkandidat quasi mimetisch partizipieren könne, ohne freilich christdemokratisches Programm nachahmen zu wollen. Eine entpolitisierende Umwertung der Bilder ist beispielsweise in den Programmkanälen für Musikvideos wahrzunehmen. Denn Bildsequenzen, mit denen ehemals Ereignisse des Weltgeschehens, der Politik und Wirtschaft im Fernsehen dokumentiert wurden, finden in den Musikvideos ihren Zweck darin, in stark fragmentierter Form den jeweiligen Song bildlich zu untermalen. Nach einer solch collagierenden Behandlung bleibt der Sinn und die ursprüngliche Bedeutung zweifellos selten unverändert. Eine Bedeutungskonstanz würde auch die Schaulust des Publikums konterkarieren, weil gerade die bilduntermalten Songs eine Umwertung provozieren sollen, die den - bereits immer latent möglichen - unhinterfragten Unterhaltungswert der televisionären Nachrichtenbilder exponiert.
4.
Bilder, die trotz aller Umwertungen fortwährend verwendet werden, stabilisieren sich als solche, da ihre visuellkommunikative Kultur sich kontextsensibel gegenüber Wertverschiebungen interpretieren läßt. Diese Sensibilität erlangen sie infolge ihrer prinzipiellen Offenheit hinsichtlich jeglicher Interpretationen, die es versucht, die Bedeutung eines Bildes und damit dessen Wert zu bestimmen. Denn zum Eigenwert der bildhaften Kultur gehört es, daß sowohl dessen syntaktischer Code der Formen als auch dessen semantische Bezeichnungen per kommunikativ wirkender Ähnlichkeit es verhindern, daß Bilder durch eine Veränderung der kulturellen Wertsphären aus dem Fokus des Interesses gelangen. Bilder sind deshalb, egal wie alt sie sind, in gewissem Sinne immer aktuell, da sie stets ungeahnte Bedeutungsmöglichkeiten beinhalten. Eine Umwertung der Bilder zieht daher nicht nach sich, daß deren visuellkommunikative Kultur gegenwärtig durch eine andere Kommunikationsform abgelöst wird. Statt dessen treiben insbesondere die Bilder im Fernsehen, Video, Kino und Internet eine Kommunikationssituation voran, deren Internationalisierung mit einer Pankulturalität syntaktischer Bildformen einhergeht. Ob die daran beteiligten Kommunikationspartner tatsächlich verwandte Bedeutungen interpretieren, bleibt zumindest höchst unwahrscheinlich, solange sie keine gemeinsamen Sprachsymbole nutzen.



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