Kommunizieren Bilder jenseits
von Werten?
1.
Die diesem Heft zugrunde liegende, suggestiv anmutende Arbeitshypothese
"einer Entwertung der Bilder durch Bilder" unterscheidet weniger
zwischen Bildern, sondern sie polarisiert zwischen dem Wert des Wertvollen
und dem Wert des Wertlosen bzw. Entwerteten. Es ließe sich daher spekulieren,
daß das Unwerte in dem Antagonismus vom Wertvollen und Wertlosen vermutlich
unberücksichtigt bliebe, weil es in den für Wert befundenen Kommunikationscodes
einer Kultur keinen Ort fände. Was hieße es jedoch für Bilder
bzw. für die Bildkultur einer Gesellschaft, wenn ihre valorisierten
Kommunikationsformen derart durch profane Formen devalorisiert würden,
daß sie ihren Wert einbüßen müßten? Welcher
Wert könnte Bildern überhaupt abhanden kommen, wenn sie sich durch
sich selbst entwerten sollten: Verschwände ihr kommunikativer Wert,
würden sie sich des Werts des Schönen und des Guten entledigen?
Was kann also gemeint sein, mit einer Entwertung der Bilder durch Bilder?
2.
Zu den Zeiten als Bilder unikalen Charakter hatten, gestand man ihnen einen
Wert zu, weil es neben ihnen selten ein zweites, gleiches Bild gab. Der
Wert bestimmte sich hier durch die Einzigartigkeit des Bildes selbst. Er
bestimmte sich aber auch dadurch, daß das Bild mitunter ein als wertvoll
erachtetes Neues zeigte oder es die valorisierte Kultur eines traditionellen
Sujets vor Augen führte. Ein erster Angriff auf das Unikat wurde den
unterschiedlichen Drucktechniken zugeschrieben, mit denen Bilder reproduziert
wurden. Mit der Fotografie fand die Reproduktion des Kunstwerks allerdings
ihren Zenit in der theoretischen Diskussion und praktischen Umsetzung. Denn
gegenwärtig rückt die Reproduktion und der Verlust des einzigartigen
Bildes weniger in den Mittelpunkt des Erstaunens, da mit den elektronischen
Medien der Wert des authentischen Bildes von etwas abhanden kommt. Um demonstrativ
kommunikativ zu wirken, benötigen auch die elektronisch generierten
Bilder einen Code, der sie miteinander verkoppelt und in eine kulturelle
Wertsphäre versetzt. In dieser Hinsicht behalten die computerisierten
Bilder den Wert einer visuellkommunikativen Konnektivität bei. Worin
sie indessen an Wertschätzung verlieren, ist die ihnen zugestandene
Referenz zu einem potentiell erlebbaren Gegenstand, der mit der Fotografie
belegbar schien. Denn die computerisierten Bilder entwerten diejenigen kulturellen
Wertsphären, die hinsichtlich der fotografischen und filmischen Bilder
dafür sorgten, daß man von diesen erwartete, daß sie real
Existierendes darzustellen vermochten. Mit televisionären Computerbildern
werden deshalb nicht die Bilder entwertet. Es ist vielmehr die Unabhängigkeit
sowohl von Bewußtseinsereignissen der Bildproduzenten als auch von
faktisch sichtbaren Ereignissen, mit der es Computerbilder provozieren,
daß die Werte der Einmaligkeit, der traditionell herrschenden Schönheitskriterien
und des indexikalischen Bezugs auf Wirklichkeit zunehmend als unzulänglichere
Maßstäbe gelten, sobald Betrachter eine Handlungsorientierung
erlangen möchten. Um sich gegenwärtig handlungsrelevant an Bildern
zu orientieren, ist es für Betrachter bedeutender, daß sie erkennen,
welche Gruppe sich mit welchem Bildstil symbolisiert und welche kommunikativen
Beziehungsaspekte dabei relevant werden. Welche Wertsphären mit den
Bildern berührt werden, ob beispielsweise Kunst oder Religion im kommunikativen
Spiel ist, ist dabei zweitrangig, da die Bilder diese traditionellen Stabilisierungsmuster
für kulturelle Wertsphären verlassen, um als visuelle Kommunikation
mit der sprachlichen in Konkurrenz treten zu können. Bilder bzw. eigentlich
deren Verwender entwerten gegenwärtig ihre traditionellen Wertsphären,
sie entwerten nicht die visuellkommunikative Bildkultur, die sich Bild für
Bild stets eindringlicher stabilisiert.
3.
Für die geschichlich dargestellten Bilderstürme wäre es unrichtig,
zu behaupten - soweit sie Kunsthistoriker erforscht haben - sie wären
in erster Linie von ästhetischen Differenzierungen motiviert worden.
Die historisch bekannten, kollektiven Zerstörungen von Bildern versuchten
nicht, sich aller Möglichkeiten der visuellen Kommunikation zu entledigen,
sondern sie strebten es an, die symbolisierten Werte zu vernichten, mit
denen sich eine religiöse oder politische Herrschaft in der öffentlichen
Kommunikation behauptete. Gegenwärtig ist eine solche Dematerialisierung
der Bilder durch Kollektive - außer in manchen Kriegsgebieten - selten
anzutreffen. Gleichfalls rütteln spontane Angriffe auf beispielsweise
Plakate weder an kulturellen Werten noch an Symbolen einer politischen oder
ökonomischen Macht.
Werden gegenwärtig Bilder gewissermaßen erstürmt, so werden
sie in ihrem symbolischen Interpretationsgehalt mehr umgewertet als entwertet.
Mit einer solchen Umwertung eines Bildes geling es z.B. politisch unzufriedenen
Chinesen, das Porträt von Mao derart in der Bedeutung zu verändern,
daß es in spezifischen Verwendungskontexten als ein Protestsymbol
gelesen wird. Auf andere Weise arbeiten Wahlstrategen der SPD mit der Technik
der Bedeutungsverschiebung: Sie versinnbildlichen Schröder in einer
zigarrenrauchenden Pose, die der Ludwig Erhards gleicht, um zu symbolisieren,
daß an dessen damaligen, wirtschaftspolitischen Erfolgen der SPD-Kanzlerkandidat
quasi mimetisch partizipieren könne, ohne freilich christdemokratisches
Programm nachahmen zu wollen. Eine entpolitisierende Umwertung der Bilder
ist beispielsweise in den Programmkanälen für Musikvideos wahrzunehmen.
Denn Bildsequenzen, mit denen ehemals Ereignisse des Weltgeschehens, der
Politik und Wirtschaft im Fernsehen dokumentiert wurden, finden in den Musikvideos
ihren Zweck darin, in stark fragmentierter Form den jeweiligen Song bildlich
zu untermalen. Nach einer solch collagierenden Behandlung bleibt der Sinn
und die ursprüngliche Bedeutung zweifellos selten unverändert.
Eine Bedeutungskonstanz würde auch die Schaulust des Publikums konterkarieren,
weil gerade die bilduntermalten Songs eine Umwertung provozieren sollen,
die den - bereits immer latent möglichen - unhinterfragten Unterhaltungswert
der televisionären Nachrichtenbilder exponiert.
4.
Bilder, die trotz aller Umwertungen fortwährend verwendet werden, stabilisieren
sich als solche, da ihre visuellkommunikative Kultur sich kontextsensibel
gegenüber Wertverschiebungen interpretieren läßt. Diese
Sensibilität erlangen sie infolge ihrer prinzipiellen Offenheit hinsichtlich
jeglicher Interpretationen, die es versucht, die Bedeutung eines Bildes
und damit dessen Wert zu bestimmen. Denn zum Eigenwert der bildhaften Kultur
gehört es, daß sowohl dessen syntaktischer Code der Formen als
auch dessen semantische Bezeichnungen per kommunikativ wirkender Ähnlichkeit
es verhindern, daß Bilder durch eine Veränderung der kulturellen
Wertsphären aus dem Fokus des Interesses gelangen. Bilder sind deshalb,
egal wie alt sie sind, in gewissem Sinne immer aktuell, da sie stets ungeahnte
Bedeutungsmöglichkeiten beinhalten. Eine Umwertung der Bilder zieht
daher nicht nach sich, daß deren visuellkommunikative Kultur gegenwärtig
durch eine andere Kommunikationsform abgelöst wird. Statt dessen treiben
insbesondere die Bilder im Fernsehen, Video, Kino und Internet eine Kommunikationssituation
voran, deren Internationalisierung mit einer Pankulturalität syntaktischer
Bildformen einhergeht. Ob die daran beteiligten Kommunikationspartner tatsächlich
verwandte Bedeutungen interpretieren, bleibt zumindest höchst unwahrscheinlich,
solange sie keine gemeinsamen Sprachsymbole nutzen.
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