Das digitale Bildvergessen
Fernanwesende Bildkommunikation in Echtzeit
Schelske, Andreas zurück
Keine Gesellschaft zuvor produzierte mehr Bilder als die heutige Weltgesellschaft. Keine Gesellschaft wollte sich so oft und massenhaft selbst im Bild inszenieren wie die heutige Weltgesellschaft. Keine Gesellschaft verknüpfte ihre Überleben stärker mit Bildern. Keine Gesellschaft war versessener darauf, soziale Kontakte mittels Bildern aufzubauen, zu unterhalten und zu erinnern. Die digitale Bildherstellung übertrifft bei weitem den Bilderboom, für den die technische Reproduzierbarkeit des fotografisches Bildes zu Beginn des 20 Jh. sorgte. Nach Schätzungen der Gesellschaft für Konsumforschung (GFK) wurden 77 Millionen Digitalkameras weltweit im Jahr 2004 verkauft. Gegenüber dem Jahr 2003 steigerte sich der Markt für Digitalkameras um 54 Prozent. 100 Millionen Fotohandys lieferte die Industrie 2004 weltweit aus. Jedes Kommunikationsgerät der Zukunft wird die digitale Bilderstellung integriert haben. Die kommunikationsstarken Individuen der Weltgesellschaft haben dann immer und überall eine Digitalkamera dabei, um immer und überall Bilder an Massen von Individuen versenden zu können. Wozu braucht die Gesellschaft noch Fotografen, wenn alle immer überall Digitalfotos machen können? Erinnert sich eine Gesellschaft an alles, wenn alles von allen fotografiert wurde? Wie können digitale Bilder überhaupt der Erinnerung dienen? Diese drei Fragen werden die folgenden vier Kapitel beantworten.
Alle nachstehenden Überlegungen gehen davon aus, dass die Evolution des digitalen Bildes einer Evolution des Sozialen folgt. Mittels digitaler Bilder beginnen wir uns in Fernanwesenheit zu vergesellschaften. Das digitale Bild präformiert zunehmend die sozialen Wechselwirkungen der Netzwerkgesellschaft. Freunschaft, Ehe, Liebe, Vertrauen, Macht, Partnerfindung, Kinderbetreuung, Geschäftsbeziehungen, Altenpflege, Öffentliche Sicherheit, Identität, Shopping, Unterhaltung, Gaming und selbstverständlich informationelle Weltorientierung etc. gewährleisten mehr und mehr digitale Bilder. Kommunikation, Communities und soziale Orientierung sind in der Aufmerksamkeitsökonomie unserer Netzwerkgesellschaft ohne das digitale Bild kaum möglich. So fungiert das digitale Bild als sozial anknüpfbare Benutzungsoberfläche, d.h. als Interface, der modernen Vergesellschaftungstechnologien.




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